Dunkle Häfen - Band 2
begegnet waren, so sehr schätzte. Doch er will mich unbedingt in seiner Nähe haben, als könnte ich ihm durch meine bloße Gegenwart die Einsamkeit nehmen. Was er wohl in mir sieht? Einen Mutterersatz? Oder ist es einfach meine wenig formelle Art, ihn anzusprechen, meine Unfähigkeit, ein Kind als etwas anderes als ein Kind zu behandeln? Dass der Junge einsam ist, kann jeder sehen, dabei ist er erst sieben Jahre alt. Er hat kaum einen Menschen, der sich seiner kindlichen Sorgen annimmt, nur Leute, die 'sein Bestes' wollen und an seiner Statt regieren. Wir haben selten Gelegenheit, ungestört zu reden; wenn D'Orléans anwesend ist, macht das jedes Gespräch unmöglich. Neuerdings verlangt Louis, dass ich ihm von meinem Baby erzähle, offensichtlich ist er recht gut über mich informiert. Dazu darf ich ihn in seinen Räumen besuchen, was der Hof mit Verblüffung beobachtet. Dort lässt der König sich dann Anekdoten aus der Welt eines Babys erzählen, mit der er wohl nie in Berührung kommen wird. Deshalb fasziniert es ihn wohl auch so, denn er weiß natürlich nichts von Kinderpflege und häuslichen Dingen.
"Wie gerne würde ich Euch einmal besuchen!" , wünschte er sich einmal.
"Aber warum tut Ihr es dann nicht? Warum sollte man Euch daran hindern?"
Es war eine törichte Frage. Der Regent würde ohne Zweifel etwas dagegen haben, wenn der König mich besuchte. Doch Louis gefiel die Aussicht.
"Ich werde mit dem Regenten sprechen", meinte er.
Das tat er in der Tat. Und zu meiner Überraschung willigte D'Orléans ein. Guillaume zeigte sich richtig entsetzt, als ich ihm mitteilte, dass der König bei uns einen Hausbesuch machen würde. Er ließ das Haus, das ohn ehin schon in tadellosem Zustand war, noch einmal blitzblank wienern.
In der Eingangshalle erwarteten wir am betreffenden Tag die merkwürdige Prozession, die unser Haus betrat. Neben seiner Leibgarde hatte König Louis auch noch einige Würdenträger mitnehmen müssen. Nach einer Weile gewöhnte ich mich jedoch an die schweigenden Begleiter und nahm daran keinen Anstoß mehr. Der Junge zeigte sich sehr angetan von Charlotte und hätte sie am liebsten auf den Arm genommen. Das gehöre sich für einen König allerdings nicht, wurde er ermahnt. Ich war empört. Als ob mein Kind etwas Schmutziges wäre! Louis konnte nur kurz bleiben, man hatte es so arrangiert, dass er nicht allzu lange bei mir verweilte. Sie sahen ihn nur sehr ungern bei mir. Selbst ihm fiel das auf.
"Warum behandeln sie Euch so anders als die anderen Hofdamen?" , wollte er wissen.
Ich zuckte gleichmütig mit den Schultern. Ich hatte mich längst an ihre Behandlung gewöhnt.
"Für sie bin ich eine Art Aussätzige, Sire. Sie halten Abstand."
Meine Antwort schien ihn nachdenklich zu stimmen. Als er sich verabschiedete, lächelte er mich bezaubernd schüchtern an.
"Ich wäre gerne der Ma rquis d'Agny", flüsterte er mir ins Ohr.
"Warum, Sire?"
"Dann hätte ich eine so wundervolle Tochter wie er, Madame."
Röte schoss in meine Wangen.
"Sire, der Marquis d'Agny hat keine Tochter. Wo habt Ihr das denn her?"
"Alle sagen es, Madame. Vor allem die Comtesse de Magnon sagt, Charlotte wäre sein Kind", gab er bereitwillig preis.
"Sie irrt sich ", erwiderte ich mühsam beherrscht.
Bevor er ging, versprach ich, bald wieder am Hof zu erscheinen. Und das werde ich, bei meiner Seele. Dieses Mal werde ich dieses Lästermaul Magnon zur Rede stellen. Mich so zu verleumden!
Feindschaften
Ramis führte aus, was sie sich vorgenommen hatte. Am Nachmittag eines heißen Tages stapfte sie zielstrebig durch die Palastgärten des Palais-Royale, der dem Regent gehörte und wo man sich derzeit zu einem Spaziergang eingefunden hatte. Wegen der Hitze suchten die Grüppchen von Männern und Frauen Zuflucht im Schatten der Bäume. Ramis überflog die Anwesenden und hielt nach der Comtesse Ausschau. Ihre Widersacherin stand bei drei Männern und vier Frauen, mit denen sie angeregt plauderte. Ihre Locken wippten neckisch, während sie gestikulierte und zweifellos der Mittelpunkt der Gruppe war. Ramis steuerte geradewegs auf sie zu und fasste sie forsch am Ärmel. Die Comtesse fuhr herum.
"Ah, die Herzogin!" Auf ihrem Gesicht erschien das strahlende Lächeln, das den Spott und ihre Geringschätzung verbarg. "Wie kann ich Euch helfen?"
"Indem Ihr mit mir kommt! Ich habe Euch etwas zu sagen!"
"Aber meine Liebe, das ist doch gewiss nicht so geheim, dass meine Freunde es nicht hören dürfen, oder? Ihr seht
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