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Dunkle Häfen - Band 2

Dunkle Häfen - Band 2

Titel: Dunkle Häfen - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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Ihr Leben verlief unterdessen in einem monotonen Gleichmaß, ohne Höhenflüge und Abstürze. Sie befand sich auf einem immerwährenden Tiefpunkt. Unbeschwert traf sie keiner mehr an.
    Auf gesellschaftliche Veranstaltungen ging Ramis nur auf das ausdrückliche Geheiß des Königs oder des Regenten. Wenigstens hatte der Herzog d'Orléans inzwischen begriffen, dass Ramis ihm nicht mehr nützlich sein konnte. Dennoch bestand er weiterhin auf ihrer Anwesenheit, als wolle er sie quälen. Man nannte sie jetzt nur noch 'den Trauerkloß', am häufigsten jedoch 'die Verrückte', 'la folle'. Keiner wusste, worum sie eigentlich trauerte und so schrieb man es einer geistigen Verwirrung zu. Hatte sie nicht vor gut einem Jahr bei einem Empfang den Verstand verloren? Man munkelte über ihre Abwesenheit danach. War es wahr und sie hatte sich in einem Schrank verkrochen, um zu sterben? Über 'la folle' wurde viel getuschelt, alles an ihr war merkwürdig. Niemand kannte sie so richtig, die seltsame Fremde. Es gab manche, die sie heimlich mit Interesse beobachteten, aber die meisten mieden sie peinlich berührt wie bei einer Schwachsinnigen. Sie war ihnen unheimlich, hinter dem bleiernen Schweigen schien mehr verborgen zu sein als ein zerfressener Verstand. Bei den Bällen in den Tuilerien oder dem Palais-Royale stand sie in der Ecke, unbeteiligt und stumm, sie tanzte niemals und redete nur, wenn man sie ansprach, was freilich nicht oft vorkam. Statt der farbigen, seidenen Gewänder trug sie nun seit einem Jahr schwarze Trauerkleidung, die ebenso schlicht wie düster war.
    Der Hof gewöhnte sich an Ramis Anwesenheit. Anfangs hatte man sich ärgerlich gefragt, warum man diese Frau immer noch einlud, sie sei eine Schande für den Hof. Aber bald betrachtete man sie beinahe dem Hof zugehörig. Nur der Marquis, seltener ihr Mann oder Adélaide leisteten ihr ihrem Exil Gesellschaft. Irgendwann lebte sich Ramis in ihre abstruse Rolle ein, sie stand Abend für Abend wie ein unnahbares Mahnmal in den Sälen oder Gärten, saß mit versteinertem Gesicht in der Oper, die ihr vor vielen Jahren einmal so große Freude bereitet hatte. Doch das Leben am Hof war so schal geworden, dass es sie nicht im Geringsten trösten konnte. Dennoch war es das einzige, was sie aus dem Haus lockte und dafür sorgte, dass sie nicht völlig verschwand.
     

Die Schatten der Vergangenheit
     
    Im Frühsommer 1720 zog sich die Herzogin wieder eine schwere Erkältung zu. Sie fragte sich, wo ihre einst so robuste Gesundheit hin verschwunden war. War sie nicht erst vor einem halben Jahr krank gewesen? Nun musste sie wieder das Bett hüten und dem Hof fernbleiben - letzteres störte sie gewiss nicht. Trotzdem war ihr furchtbar langweilig, deshalb freute sie sich stets, wenn Besuch - der hauptsächlich aus dem Marquis bestand - kam. Sobald er dann da war, hörte sie ihn erst einmal einige Zeit in Charlottes Zimmer gluckern. Wegen der Ansteckungsgefahr musste Ramis ihr Kind meiden. Sie vermisste das kleine Mädchen, das inzwischen fast vier Jahre alt war und noch immer keinem ihrer Eltern ähnelte. Dafür hatte sich ihre kleine Persönlichkeit noch stärker herausgekehrt, von der Ramis sich manchmal fast vor den Kopf gestoßen fühlte. Charlotte schien niemanden wirklich zu brauchen, zumindest hatte Ramis das Gefühl. Wenn Charlotte Zärtlichkeiten wollte, holte sie sich, ansonsten verweigerte sie sich geradezu. Sie hatte ein zartes Gesicht mit einer kleinen Nase und kräftiges schwarzes Haar.
    Sie wird wohl eine Schönheit werden, dachte Ramis seufzend. Einst werden diese faszinierend grünen Augen die Leute fesseln.
    Den Marquis und Guillaume hatten sie jedenfalls schon vollkommen gefangengenommen. Die beiden Männer waren ganz vernarrt in die kindliche Erbin der De Sourges und spielten sogar in der Abgeschiedenheit des Kinderzimmers mit ihr Kleinkinderspiele. Dabei zuzuschauen hatte selbst Ramis zum Lachen gebracht, was den Männern natürlich sehr peinlich war, sie aber nicht davon abhielt. So einem Besuch stattete der Marquis ihr an einem Junitag ab. Er fand die Herzogin an ihrem Schreibtisch, hinter dem sie mit gerunzelter Stirn saß und schrieb. Das Möbelstüc k war das eines Mannes, aber Ramis war das egal, sie pflegte zu sagen:
    "Warum sollen alle praktischen Dinge für Männer reserviert sein? Ich finde diese Damenschreibtische zu zart und zu schmal. Haben Frauen etwa keine Papierberge und Aktenstapel?"
    Die hatte sie in der Tat. Selbst der wuchtige Schreibtisch

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