Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Halunken: Roman (German Edition)

Dunkle Halunken: Roman (German Edition)

Titel: Dunkle Halunken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
fragen, wenn du Gelegenheit zum Sprechen hättest, die ich dir derzeit aber nicht gebe. Meine Antwort würde lauten: Die Wahrheit ist ein Nebel, in dem der eine Mensch die himmlischen Heerscharen sieht und der andere einen fliegenden Elefanten.«
    Dodger wollte protestieren. Er hatte keine himmlischen Heerscharen gesehen und auch keinen Elefanten – er wusste nicht einmal, was ein Elefant war –, doch er wäre bereit gewesen, einen Shilling darauf zu wetten, dass Solomon bei seinen Reisen beides gesehen hatte.
    Charlie sprach noch immer. »Die Peeler haben einen jungen Mann gesehen, der mutig einem bewaffneten Mörder entgegentrat, und derzeit ist das die Wahrheit, die wir drucken und feiern sollten. Allerdings werde ich auch eine andere Perspektive hinzufügen – sagen wir: eine kleine Prise davon – und berichten, dass der Held der Stunde Mitleid mit dem schrecklichen Mörder hatte und glaubte, dass er wegen der in den letzten Kriegen erlebten grässlichen Erlebnisse verrückt geworden sei. Ich werde schreiben, wie sehr du mir gegenüber betont hast, dass Mister Todd selbst ein Kriegsopfer ist, so wie die Toten in seinem Keller. Ich werde deine Ansicht den Obrigkeiten mitteilen. Der Krieg ist eine schreckliche Sache, und viele kehren mit Wunden heim, die für das Auge unsichtbar bleiben.«
    »Das ist sehr schlau von Ihnen, Mister Charlie, die Welt mit ein paar Worten auf Papier zu verändern.«
    Charlie seufzte. »Wohl eher nicht. Man wird Sweeney Todd entweder hängen oder nach Bedlam schicken. Wenn er Pech hat – und ich glaube nicht, dass er genug Geld besitzt, um sich dort einen angenehmen Aufenthalt zu kaufen –, kommt er nach Bedlam. Übrigens, ich wäre dir dankbar, wenn du dich morgen beim Punch einfinden könntest, damit unser Zeichner Mister Tenniel dein Konterfei zu Papier bringt.«
    Dodger versuchte, alles Gehörte zu verarbeiten. »Was meinen Sie mit Punch, Mister Charlie? Ist das was Schlimmes?«
    »Ob das was Schlimmes ist? Oh, Satire kann schlimm sein; auch hierbei kommt es auf die Perspektive an. Der Punch ist ein Magazin für Politik, Literatur und Humor, womit etwas gemeint ist, das einen zum Lachen und manchmal auch zum Nachdenken anregt. Zu den Gründern zählt unser gemeinsamer Bekannter Mister Mayhew.« Charlie zögerte und schrieb dann rasch einige Worte auf das vor ihm liegende Papier. »Geh jetzt, viel Spaß und kehr morgen so früh wie möglich hierher zurück!«
    »Äh, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, Sir, ich habe ohnehin noch einen Termin«, sagte Dodger.
    » Du hast einen Termin, Dodger? Meine Güte, mir scheint, du wirst wirklich ein Mann von Welt!«
    Dodger machte sich auf den Weg und überlegte dabei, wie Charlie seine letzten Worte gemeint haben könnte. Er nahm sich vor, es so bald wie möglich herauszufinden, nur für alle Fälle.

8
Ein junger Mann geht mit seiner jungen Dame spazieren, und Missus Sharples bleibt ihnen auf den Fersen
    Dodger beeilte sich auf dem Weg zum Haus der Mayhews, und irgendwie musste er dabei an das Kasperletheater mit Mister Punch [4] denken, an die Puppe mit dem fröhlichen Gesicht und der krummen Nase, an den Kasper, der seine Frau und auch den Polizisten schlug und außerdem das Baby wegwarf. Trotzdem lachten die Kinder über ihn. Warum sollte so etwas komisch sein?, fragte sich Dodger. War das überhaupt komisch? Seit siebzehn Jahren lebte er auf der Straße und wusste, dass dort das wirkliche Leben stattfand, ob komisch oder nicht. Wenn Menschen tief genug sanken, staute sich manchmal solcher Zorn in ihnen an, dass sie schlugen: die Frau, das Kind … Zum Schluss versuchten sie sogar, ihren Henker zu schlagen, was ihnen natürlich nie gelang. Trotzdem lachten die Kinder über Mister Punch. Simplicity allerdings lachte nicht …
    Dodger ging noch schneller, er rannte fast und erreichte das Haus der Mayhews zu einem Zeitpunkt, als man, nach Londons Glocken zu urteilen, gerade mit dem Mittagessen fertig sein sollte. Er kam sich ziemlich kühn vor, als er zur Vordertür ging – immerhin war er ein junger Gentleman mit einem Termin  – und läutete. Kurz darauf wich er zurück, als die Tür von Missus Sharples geöffnet wurde, die ihn mit einem Blick durchbohrte, der aus reinem Hass bestand, und keine Antwort von ihm bekommen konnte, weil sie die Tür wieder zuwarf.
    Einige Sekunden lang starrte Dodger auf die mit allem Nachdruck geschlossene Tür und dachte: Das muss ich mir nicht gefallen lassen. Er straffte die

Weitere Kostenlose Bücher