Dunkle Herzen
die Straße überquerten. Angie, die sich müßig umsah, entdeckte einen überdimensionalen Aufkleber am Heck eines Pickup.
Durch Gottes Hilfe wurde Amerika zu dem, was es heute ist.
O je, dachte sie, die Augen schließend. Wo war sie hier nur hingeraten?
Als sie über die Straße gingen, hörte sie halbherzig zu, wie Clare Jean-Paul von der Parade vorschwärmte. Hätte man sie um ihre ehrliche Meinung gebeten, Angie hätte zugeben müssen, daß das Städtchen über einen gewissen Charme verfügte. Wenn man ein Fan von ländlicher Idylle war.
Eins war sicher: Leben wollte sie in einer solchen Stadt auf keinen Fall, und sie wußte noch nicht einmal genau, wie lange sie den Aufenthalt hier ertragen konnte, bis sie die Ruhe und das gemäßigte Tempo, in dem hier alles abzulaufen schien, um den Verstand brachten. Aber Jean-Paul war von Emmitsboro offenbar ganz angetan.
Allerdings bekam er auch die neugierigen Blicke, die sie trafen, nicht so mit, überlegte Angie. Und das waren beileibe nicht wenige. Angie bezweifelte, daß die Leute ihre Kleidung oder ihre Frisur bewunderten. Aber auf jeden Fall registrierten sie ihre Hautfarbe. Als sie Clare in das Lokal folgte, lag ein leichtes und – sie konnte sich nicht helfen – überhebliches Lächeln auf ihrem Gesicht.
Aus der Jukebox klang die Art von Musik, die Angie bei sich immer als ›Besoffnes Cowboygegröle‹ bezeichnete. Doch die Düfte aus der Küche waren ausgesprochen verlockend. Geröstete Zwiebeln, Toastbrot, saftige Gewürzgurken
und irgendeine scharf gewürzte Suppe. Wie schlimm konnte es denn noch kommen, fragte sie sich, als Clare einer Kellnerin winkte und sich an einem Ecktisch niederließ.
»Eine Cherry Coke«, entschied sie. »Hier kriegt man sie noch.« Sie reichte ihren Freunden plastikgebundene Speisekarten. »Fragt aber bitte nicht nach dem Nudelgericht des Tages.«
Angie schlug die Karte auf. »Da würde ich nicht einmal im Traum dran denken.« Prüfend überflog sie das Angebot, wobei sie mit einem langen, kirschrot lackierten Fingernagel gegen den Plastikeinband tippte. »Ich glaube, ich überlasse dir die Wahl.«
»Dann Hamburger für alle.«
Alice kam, den Notizblock in der Hand, an ihren Tisch und gab sich redlich Mühe, die beiden Bekannten von Clare nicht allzu auffällig anzustarren. Sie fielen mit ihrem exotischen Äußeren völlig aus dem Rahmen; der Mann mit seinem langen, lockigen Haar und dem grellfarbenen Hemd und die Frau mit der kaffeefarbenen Haut und den leuchtenden Augen.
»Möchten Sie etwas essen?« fragte sie.
»Und ob. Alice, dies sind meine Freunde aus New York, Angie und Jean-Paul LeBeau.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Alice höflich. Der Mann lächelte, und etwas von ihrer Verlegenheit schwand. »Sind Sie hier zu Besuch?«
»Nur für ein paar Tage.« Jean-Paul beobachtete, wie Alice’ Augen von ihm zu seiner Frau und wieder zurückwanderten. »Heute macht Clare mit uns einen Stadtrundgang.«
»Ich fürchte, viel gibt’s hier nicht zu sehen.«
»Ich bemühe mich gerade, die beiden zu überreden, bis zur Parade am Samstag zu bleiben.« Clare nahm sich eine Zigarette und zog den Metallaschenbecher zu sich heran.
»Na ja, sie ist ja auch wirklich sehenswert. Nicht zu vergleichen mit der, die Macy’s zum Erntedankfest oder so veranstaltet, aber trotzdem gut.«
»Alice war auch einmal Trommlerin«, verkündete Clare, und die Kellnerin errötete.
»Das muß schon hundert Jahre her sein. Wollt ihr schon bestellen oder braucht ihr noch etwas Zeit?«
»Nein, wir wissen, was wir essen wollen.« Clare bestellte für alle und blickte der davoneilenden Alice nach.
»Seht euch bloß an, wie sie sich bewegt! Das muß ich unbedingt festhalten, am besten in Ton, denke ich.«
»Ich wundere mich nur, daß du deinen Sheriff noch nicht bekniet hast, dir Modell zu stehen.« Jean-Paul griff nach seiner dünnen schwarzen Zigarette.
»Ich arbeite daran.«
»Er hat mir gut gefallen.«
Clare berührte lächelnd seine Hand. »Das weiß ich, und darüber bin ich auch froh.«
»Er entsprach nicht ganz meinen Vorstellungen.« Wütend beschloß Angie, daß sie, wenn die beiden Männer am Nebentisch nicht aufhörten, sie anzustarren, genauso unverfroren zurückglotzen würde. »Mir schwebte mehr das Bild eines schwerbäuchigen Provinzbullen mit Sonnenbrille und barscher Stimme vor.«
»Mach jetzt keinen Ärger, Jungchen«, ulkte Clare. »Nein, im Ernst, auf den früheren Sheriff würde deine Beschreibung passen
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