Dunkle Herzen
aufsässigen, trotzigen Fremden geworden.
Seinetwegen hatten sie entsetzliche Schuldgefühle geplagt, weil sie Biff so kurz nach Mikes Tod geheiratet hatte. Kein Wort hatte er darüber verloren, nicht ein einziges, doch die Art, wie er sie mit seinen dunklen, anklagenden Augen anzusehen pflegte, sagte ihr alles.
Auf dem Weg zu den Nebengebäuden blieb sie stehen und setzte die Kartons, die sie trug, kurz ab. Im strahlenden Sonnenschein leuchteten die Felder tiefgrün. Doch das Heu würde von Fremden gemäht und zu Ballen gepreßt werden. Ein Kälbchen, das kaum ein paar Tage auf der Welt sein konnte, stakste unsicher hinter seiner Mutter her. Jane nahm das friedliche Bild kaum zur Kenntnis. Was sie anging, so war die Farm bereits verkauft, und damit waren alle Hoffnungen, die sie je mit ihr verbunden hatte, zunichte gemacht worden.
Einst hatte Jane die Farm geliebt, wie sie auch ihren Sohn geliebt hatte. Aber jetzt erschienen ihr die Gefühle,
die sie dem Land und dem Kind damals entgegengebracht hatte, merkwürdig unwirklich, so, als habe eine fremde Frau dieses Leben gelebt. Biff hatte die Farm mit strenger Hand geführt, und auch mit dem Jungen und ihr selbst war er oft sehr hart umgesprungen.
Nur zu ihrer aller Besten, redete sich Jane ein, als sie die Kartons wieder hochhob. Mike hatte sie und den Jungen allzusehr verwöhnt. Tränen traten ihr in die Augen, wie so häufig in den letzten Tagen. Sie hielt sie nicht zurück, warum auch? Niemand sah sie weinen, und niemanden interessierte es.
In ein paar Wochen konnte sie das Geld nehmen, welches ihr der Verkauf der Farm einbrachte, und nach Tennessee ziehen, in die Nähe ihrer Schwester. Sie würde sich dort ein kleines Haus kaufen. Und dann? Was sollte sie dann nur tun, fragte sie sich verzweifelt, als sie sich schluchzend gegen die Scheunenwand sinken ließ. Lieber Gott, was sollte sie nur tun?
Bisher hatte sie zwar jeden Tag ihres Lebens schwer gearbeitet, jedoch nie einen richtigen Job angenommen. Von Dingen wie Veräußerungsgewinn und treuhänderisch hinterlegten Verträgen verstand sie nichts, und die Menschen, die in einer der Talkshows, die sie sich manchmal ansah, auftraten und darüber berichteten, wie sie den Kummer über den Verlust eines nahen Angehörigen überwunden und ihre eigene Persönlichkeit entfaltet hatten, verwirrten und erschreckten sie nur.
Sie wollte ihr Leben nicht in ihre eigenen Hände nehmen, wollte nicht ihre eigenen Entscheidungen treffen müssen. Aber am allerwenigsten wollte sie allein sein.
Als ihre Tränen versiegten, wischte sich Jane das Gesicht mit ihrer Schürze ab. Sie hatte die Tage seit Biffs Tod herumgebracht, indem sie sich mit allen möglichen notwendigen und weniger notwendigen Arbeiten beschäftigte. An diesem Morgen hatte sie bereits die Kühe gemolken, sämtliches Vieh gefüttert und die frisch gelegten Eier eingesammelt, dann das ohnehin blitzsaubere Haus noch einmal geputzt. Trotzdem war es gerade erst Mittag, und der Tag
dehnte sich endlos vor ihr, um von einer ebenso endlos erscheinenden Nacht abgelöst zu werden.
Jane entschloß sich, als nächstes die Scheune und den kleinen Schuppen auszuräumen. Die meisten Werkzeuge und Maschinen würden zusammen mit der Farm versteigert werden, doch sie wollte sich die Nebengebäude systematisch vornehmen, um die einzelnen Stücke in Augenschein zu nehmen und zu überlegen, ob sie im Direktverkauf nicht einen höheren Preis dafür erzielen konnte. Sie lebte in der ständigen Furcht, nicht genügend Geld zu besitzen. Dann wäre sie nicht nur allein, sondern arm und allein. Ein schlimmeres Schicksal konnte sie sich nicht vorstellen.
Biff hatte nie eine Lebensversicherung abgeschlossen. Warum auch gutes Geld für Versicherungsprämien hinauswerfen? Sie hatte ihn sogar auf Kredit beerdigen lassen müssen, nach dem Motto: Stirb jetzt, bezahl später. Die Hypothek, die auf der Farm lag, mußte abgelöst werden, und die nächste Rate für den Mähdrescher, den Biff vor zwei Jahren gekauft hatte, war auch fällig. Dann standen noch Rechnungen für Futter und Lebensmittel sowie die Raten für den Traktor und Biffs Caddy aus. Ethan Myers von der Bank hatte ihr zwar versichert, daß man ihr Zeit lassen würde, bis sie sämtliche Angelegenheiten geordnet hatte, doch die fälligen Rechnungen bereiteten ihr schlaflose Nächte.
Sie konnte die Schande, jemandem etwas zu schulden, nicht ertragen. Zu Lebzeiten ihres Mannes hatte sie sämtliche Kredite damit gerechtfertigt, daß
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