Dunkle Herzen
bereits nach seinen Jeans, die er über einen Stuhl geworfen hatte. »Wie schwer bist du verletzt?«
»Es geht nicht um mich. Ich bin okay.« Ihre Hand zitterte so stark, daß der Kaffee über den Rand des Styroporbechers schwappte. »Ich hatte einen Unfall – eine Frau kam plötzlich aus dem Wald gerannt. Ich dachte, es wäre ein Reh. Ich hab’ noch versucht zu bremsen. Cam, ich weiß nicht, wie schwer ich sie verletzt habe. Keiner sagt mir etwas. Ich brauche …«
»Ich bin schon unterwegs. Setz dich jetzt hin, Slim, und mach die Augen zu.«
»Okay.« Clare preßte eine Hand vor den Mund. »Danke.«
Die Minuten erschienen ihr wie Stunden. Sie saß in der Notaufnahme, lauschte dem Stöhnen, dem Schlurfen der Pantoffeln auf Linoleum und dem eintönigen Gemurmel aus dem Fernseher. Leno leierte gerade einen seiner berüchtigten Monologe herunter und schläferte sein Publikum damit
offenbar erfolgreich ein. Clare starrte auf die Blutflecken auf ihrer Bluse und den Jeans und durchlebte im Geiste wieder und wieder den Augenblick, als sie auf die Bremse getreten hatte.
Hatte sie zu spät reagiert? War sie zu schnell gefahren? Sie hatte vor sich hingeträumt. Wenn sie besser aufgepaßt hätte, dann würde diese Frau jetzt nicht im Operationssaal liegen.
O Gott, dachte sie benommen. Ich weiß ja noch nicht einmal ihren Namen.
»Clare?«
Verwirrt blickte sie hoch, gerade als sich Cam über sie beugte.
»Ich weiß noch nicht einmal ihren Namen.«
»Schon gut.« Er zog ihre Hände an die Lippen und hielt sie fest, wie um sich zu vergewissern, daß sie unversehrt und sicher war. Auf ihrer Bluse klebte Blut, doch nach dem ersten Anflug von Panik erkannte er, daß es nicht von ihr stammte. »Kannst du mir erzählen, was passiert ist?«
»Sie ist mir direkt vors Auto gelaufen, und ich habe sie angefahren.«
Cam bemerkte, daß ihr Gesicht aschfahl und die Lippen blutleer waren. Auch ihre Pupillen schienen geweitet. Als er den Handrücken an ihre Wange legte, stellte er fest, daß sich die Haut eiskalt und feucht anfühlte. »Bist du auch von jemandem untersucht worden?«
Sie warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu. »Ich will wissen, was mit ihr los ist. Ich muß es wissen. Dir wird man es doch sagen, oder? Bitte, Cam, ich halte das nicht länger aus.«
»In Ordnung. Bleib hier sitzen, ich bin gleich wieder da.«
Sie sah ihm nach, als er auf eine Krankenschwester zuging und seinen Dienstausweis zückte. Nach ein paar Sekunden führte ihn die Schwester den Korridor entlang. Als er zurückkam, trug er eine Decke in der Hand, in die er Clare einhüllte, ehe er sich zu ihr setzte.
»Sie ist noch im OP.« Er nahm ihre Hand und wärmte sie zwischen den seinen. »Es kann noch eine Weile dauern. Ein
Knie und ein Auge sind schwer verletzt.« Er wartete, bis Clare die Lippen zusammenpreßte und nickte. »Außerdem hat sie innere Verletzungen und Quetschungen und Kratzer am Hals. Clare, kannst du mir sagen, wie schlimm der Zusammenstoß war? Wie weit ist sie weggeschleudert worden?«
»Das haben sie mich alles schon gefragt.«
»Erzähl’s mir bitte noch mal.«
»Mir kam es nur vor wie ein leichter Stoß. Ich hatte den Wagen schon fast zum Stehen gebracht, hatte gehofft, noch rechtzeitig bremsen zu können. Dann hab’ ich hart nach links gelenkt. Ich schwöre dir, ich dachte, ich hätte noch rechtzeitig angehalten. Aber als ich dann ausstieg, lag sie da auf der Straße, und überall war Blut.«
Cams Augen wurden schmal. »Sie lag direkt neben dem Auto?«
»Ja, sie war schon fast unter dem verdammten Reifen.« Clare preßte eine Hand vor den Mund. »Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Sie flehte mich an, ihr zu helfen.«
»Sie hat mit dir geredet?«
Clare nickte nur und wiegte sich hin und her.
»Gut, laß dir Zeit.« Cam legte ihr den Arm um die Schulter und hauchte einen Kuß auf ihre Schläfe. Aber sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. »Möchtest du ein Glas Wasser?«
Sie lehnte kopfschüttelnd ab. »Mir geht es gut. Nur – ich sehe sie immer noch vor mir, in dem Moment, als sie ins Licht meiner Scheinwerfer geraten ist.«
Auch darüber würde er sie noch näher befragen müssen, doch er wollte ihr jetzt noch etwas Zeit geben. »Hör zu. Der Arzt in der Notaufnahme sagte, ihre Kleider wären zerrissen gewesen. Blätter und Zweige hätten daran gehangen und sich in ihrem Haar verfangen. Die Quetschungen an ihrem Hals deuten darauf hin, daß jemand versucht hat, sie zu erwürgen.«
»Aber …«
»Du
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