Dunkle Herzen
sichtbar am Hemd getragen, dennoch hatte es zwischen ihnen gestanden, und sie wußte es.
Schließlich hatte Cam den Rekorder ausgeschaltet, die Kassette beschriftet und eingesteckt, ihr eine Tasse Tee gebracht und war bei ihr geblieben, bis der Schlaf sie überwältigte.
Clare war erleichtert, ihn nicht an ihrem Bett vorzufinden, so konnte sie sich einen Moment Zeit nehmen, um sich zu beruhigen. Der Traum, welcher sie geweckt hatte, lief immer noch wie ein nicht enden wollender Film vor ihrem inneren Auge ab.
Zu dem alten Alptraum waren einige neue Elemente hinzugekommen. Diesmal war sie selbst durch den Wald gerannt, durch das Unterholz gebrochen und hinaus auf die Straße gestürzt. Hinter sich hatte sie ganz deutlich Gesang vernommen, der immer stärker anschwoll. Es roch nach Blut und Rauch. Und es war ihr bleiches, gehetztes Gesicht gewesen, das vom harten Licht der Scheinwerfer erfaßt wurde. Hinter dem Steuer des Wagens, der im Begriff war, sie über den Haufen zu fahren, konnte sie die Gestalt eines Mannes mit dem Kopf eines Ziegenbocks erkennen.
Beim Zusammenstoß war sie aufgewacht. Der dumpfe Aufprall hallte immer noch in ihrem Kopf wider.
Clare rieb sich mit den Händen über das Gesicht. In ihren Fingerspitzen spürte sie ein heftiges Pulsieren. Sie war wach, mahnte sie sich; wach, sicher, geborgen und unverletzt. Langsam normalisierte sich ihr Herzschlag wieder. Ganz in der Nähe ertönte ein abgehacktes Husten, gefolgt von einem gequälten Stöhnen.
Alpträume verschwinden, dachte sie. Die Realität ließ sich jedoch nicht verdrängen. Irgendwo in diesem Gebäude lag eine andere Frau in einem anderen Bett. Eine Frau, für deren Schicksal sie die Verantwortung trug.
Gerade als sie die Beine von der Liege schwingen wollte, wurde der Vorhang zurückgezogen.
»Du bist ja wach.« Cam kam auf sie zu, um ihre Hand zu ergreifen und sie aufmerksam anzuschauen.
»Wie lange habe ich geschlafen? Ist sie aus dem OP raus? Ich möchte jetzt sofort …« Sie brach ab, als sie bemerkte, daß Cam nicht allein war. »Dr. Crampton.«
Der Doc schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und tätschelte ihre freie Hand. »Nun, junge Dame, wo fehlt’s uns denn?« meinte er, während er ihren Puls fühlte.
Dieselbe Begrüßung hatte sie schon vor fünfzehn Jahren zu hören bekommen, als er ihre Mittelohrentzündung behandelt hatte. Sie zog unweigerlich dieselbe Reaktion nach sich. »Mir geht’s gut. Ich brauche keine Spritze oder sonst was Ekliges.«
Crampton gluckste in sich hinein und schob seine stahlgefaßte Brille höher auf seine stattliche Nase. »Es ist ganz schön deprimierend, wenn einen die Leute immer so mißtrauisch mustern, als würde man schon das Skalpell wetzen. Irgendwelche Schwindelgefühle?«
»Nein. Cam, wie kommst du eigentlich dazu, Dr. Crampton extra hierherzuschleifen.«
»Ich dachte mir, daß du zu Dr. Crampton am ehesten Vertrauen hast. Außerdem …« – er grinste sie schelmisch an – »… ist mir der diensthabende Arzt hier zu jung und zu attraktiv.« Er wandte sich an seinen Begleiter: »Nichts für ungut.«
»Ich brauche aber keinen Arzt!« Wie konnte er in dieser
Situation nur auch noch Witze reißen? Wie konnte er nur! »Sag mir endlich, wie es ihr geht.«
»Sie ist operiert worden.« Cam hielt Clares Hand in der seinen, während Crampton ihr in die Augen leuchtete. »Sie ist zwar noch nicht aus der Narkose aufgewacht, aber sie kommt wieder in Ordnung.« Er brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, daß noch mindestens eine weitere Operation vonnöten war, um das Knie der Frau einigermaßen wiederherzustellen.
»Gott sei Dank.« Clare fiel ein solcher Stein vom Herzen, daß sie keinen Einspruch erhob, als Crampton ihr eine Manschette über den Arm schob, um ihren Blutdruck zu messen. »Kann ich sie sehen?«
»Nicht vor morgen früh.« Cam drückte beruhigend ihre Hand, ehe sie protestieren konnte. »Die Anweisung kommt vom Arzt, Slim, nicht von mir.«
»Du stehst ganz hübsch unter Streß, junge Dame«, teilte ihr Dr. Crampton mit. »Viel zu sehr, meiner Meinung nach. Ruf in der Praxis an und laß dir für kommende Woche einen Termin geben. Keine Widerrede.«
»Nein, Sir.«
Er lächelte sie an. »Du wirst dir schon eine Ausrede einfallen lassen, so, wie ich dich kenne.«
Clare gab das Lächeln zurück. »Darauf können Sie wetten.«
»Du warst seit jeher einer meiner schwierigsten Patienten.« Crampton tippte ihr mit dem Finger auf die Nasenspitze. »Ich möchte,
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