Dunkle Herzen
wieder Jagdgewehre und Flinten gut geölt und geladen neben der Tür stehen würden und betete nur inständig, daß er sich in naher Zukunft nicht mit einer Reihe von Unfällen mit Schußwaffen befassen mußte.
Zur Jagdsaison war es schon schlimm genug, wenn Anwälte, Zahnärzte und andere Bürohengste aus der Stadt die Wälder unsicher machten und häufiger aufeinander denn auf einen Hirsch schossen. Zum Glück gingen diese Schüsse meistens daneben, doch die Leute aus Emmitsboro
konnten das eine Ende einer Flinte sehr wohl vom anderen unterscheiden.
Wenn in der Stadt eine Panik ausbrach, dann würde er zum Bürgermeister gehen und ihn bitten müssen, ihm zumindest vorübergehend einen weiteren Deputy zuzuweisen, der ihm half, die Nägelkauer zu beruhigen, die jedesmal, wenn ein Zweig gegen ihre Fensterscheibe schlug, meinten, Charles Manson schliche ums Haus.
Cam erhob sich von seinem Schreibtisch und ging in das im hinteren Teil des Büros gelegene besenkammergroße WC. Dort roch – nein, stank es nach Lysol. Buds Werk. Der Deputy lag in ständigem Kampf mit Bazillen.
Er beugte sich über das Waschbecken, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und spülte sich den Mund aus, um den schlechten Geschmack darin loszuwerden. Seit sechsunddreißig Stunden hatte er keinen Schlaf mehr gefunden und fühlte bereits jene schwerelose körperliche und geistige Trägheit, die übergroße Erschöpfung mit sich bringt.
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als er und sein Partner ebenso lang auf den Beinen gewesen waren; wo sie im Rahmen einer Überwachung in einem eiskalten oder glühendheißen Dienstwagen festgesessen, abwechselnd ein kurzes Schläfchen gehalten, literweise starken Kaffee getrunken und idiotische Wortspiele erfunden hatten, um die unsägliche Langeweile ertragen zu können.
Er hob den Kopf und starrte mit tropfendem Gesicht in den fleckigen Spiegel. Ob er wohl irgendwann einmal in der Lage sein würde, die Erinnerungen zu verdrängen? Oder wenigstens lernen würde, mit ihnen zu leben?
Herr im Himmel, er brauchte dringend einen Drink.
Statt dessen trocknete er sich das Gesicht ab und ging ins Büro zurück, um sich noch einen Kaffee zu holen. Er hatte sich gerade daran die Zunge verbrannt, als Clare zur Tür hereinspazierte, mit einem Blick die Schatten unter seinen Augen und die Bartstoppeln erfaßte und den Kopf schüttelte.
»Du bist überhaupt noch nicht ins Bett gekommen.«
Cam nahm vorsichtig einen weiteren Schluck. Sein Mund brannte höllisch. »Was machst du denn hier?«
»Ich hab’ Angie nach unten geschickt, um Tee zu kochen, dann bin ich ausgerückt. Sie und Jean-Paul geben nämlich zwei erstklassige Wachhunde ab. Ich dachte mir, wenn ich dich anrufe, wimmelst du mich eh nur ab, also bin ich hergekommen.«
»Sie ist bei Bewußtsein. Zwar konnte sie sich nicht an alles, was ihr zugestoßen ist, erinnern, aber sie kannte ihren Namen und ihre Adresse und wußte auch das Datum.«
»Du hast versprochen, mich sofort anzurufen.«
»Ich habe angenommen, daß du noch schläfst.«
»Wie du siehst, bin ich wach.« Clare tigerte zwischen seinem Schreibtisch und dem Fenster hin und her, bemüht, ihr aufschäumendes Temperament unter Kontrolle zu halten, und verlor den Kampf mit sich selbst. »Verdammt, Cam, und wenn das zehnmal eine offizielle Angelegenheit ist, ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, was Sache ist.«
»Ich informiere dich ja auch über alles Wissenswerte«, bemerkte er ruhig.
»Ich werde sie besuchen.« Clare strebte zur Tür.
»Warte bitte.«
»Ach, Scheiße.« Kampfbereit wirbelte sie herum. »Ich habe nicht nur ein Recht darauf, sie zu besuchen, ich bin sogar dazu verpflichtet.«
»Du trägst keinerlei Verantwortung. Das, was ihr zugefügt wurde, geschah im Wald.«
»Egal, ob es geschah, ehe oder nachdem ich sie angefahren habe, ich war nun einmal da.«
»Du hast sie nicht angefahren«, berichtigte er. »Dein Auto weist keine Spuren eines Zusammenpralls auf. Sie mag dir direkt vors Auto gelaufen sein, aber das ist auch das äußerste.«
Statt Erleichterung zu verspüren, begann Clare vor Zorn zu kochen. »Verflixt noch mal, ich war aber dort. Und eines möchte ich doch gerne klarstellen«, fuhr sie fort, ehe er sie unterbrechen konnte. »Ich will weder behütet noch bevormundet,
noch vor irgend etwas beschützt werden, dazu besteht nämlich überhaupt kein Anlaß. Falls du einen anderen Eindruck gewonnen haben solltest, ist das dein Bier. Ich trage schon zu lange selbst
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