Dunkle Herzen
die Verantwortung für mein Leben, um mir von irgend jemandem Vorschriften machen zu lassen.«
Cam erachtete es als sicherer für sie beide, sich nicht von der Stelle zu rühren. »Du hast in ziemlich kurzer Zeit eine Menge durchgemacht, Slim.« Betont langsam setzte er seine Kaffeetasse ab. »Vielleicht interessiert es dich, daß ich mich mit Lisa MacDonalds Bruder in Verbindung gesetzt habe. Er ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus, und sobald Bud mich hier ablöst, fahre ich auch hin.«
»Wunderbar.« Clare wußte, daß sie sich kindisch aufführte, konnte sich jedoch nicht beherrschen. »Ich treffe dich dann dort.« Türenknallend verließ sie den Raum, doch nach zwei Schritten stieß sie mit Jean-Paul zusammen. »Auch das noch!«
»Ich dachte mir schon, daß ich dich hier finde.«
»Hör zu, ich weiß deine Fürsorge durchaus zu schätzen, aber ich hab’s eilig. Ich fahre ins Krankenhaus, um Lisa MacDonald zu besuchen.«
Jean-Paul kannte sie gut genug, um sich jetzt auf keine Diskussionen mit ihr einzulassen. Er nahm sie sanft am Arm. »Jetzt fahren wir erst einmal nach Hause, damit sich Angie nicht vor Sorge ihre schönen Haare rauft, und dann bringe ich dich ins Krankenhaus.«
Nachdem sie fast eine geschlagene Stunde lang den Korridor der Station auf- und abmarschiert war, hatte Clares Unmut einen neuen Höhepunkt erreicht. Besuchern, sofern es sich nicht um direkte Familienangehörige oder Krankenhauspersonal handelte, wurde der Zutritt zu Lisa MacDonalds Zimmer verwehrt, auf Anordnung des Sheriffs. Also würde sie warten, beschloß Clare. Wenn Cam dachte, daß sie jetzt brav nach Hause fahren und Däumchen drehen würde, dann hatte er offensichtlich keine Ahnung, mit wem er es zu tun hatte.
Vielleicht war das gerade das Problem. Sie kannten sich einfach noch nicht gut genug.
»Hier, ich habe dir eine Tasse Tee geholt.« Jean-Paul reichte ihr einen Plastikbecher. »Zur Nervenstärkung.«
»Danke, aber dazu braucht es weiß Gott etwas Stärkeres als Tee.«
»Leider hatte der Automat keinen Wodka vorrätig.«
Clare stieß ein unwilliges Lachen aus und nippte ihm zuliebe an der braunen Flüssigkeit. »Warum erlaubt er mir nicht, zu Lisa hineinzugehen? Was meint er eigentlich, was er da tut, Jean-Paul?«
»Seinen Job, chérie .«
»Komm mir jetzt nicht mit rationalen Argumenten«, zischte Clare erbost durch die Zähne.
Sie entdeckte Cam im selben Moment, als er aus dem Fahrstuhl trat. Neben ihm ging eine Frau mit einer großen Aktentasche in der Hand. Rasch drückte Clare Jean-Paul den Becher in die Hand und schritt entschlossen auf Cam zu. »Was zum Teufel wird hier gespielt, Rafferty? Ich habe ein Recht darauf, sie zu sehen!«
Cam hatte gerade zwanzig lange Minuten darauf gewartet, daß der behandelnde Arzt ihm die Genehmigung erteilte, Lisas Aussage zu Protokoll zu nehmen, und war dementsprechend gereizt. »Lisa MacDonald hat auch Rechte«, erwiderte er schroff. »Wenn sie dich sehen möchte, nachdem ich mit ihr gesprochen habe, kannst du zu ihr.« Während er sprach, ging er auf Lisas Zimmer zu, gab einer Krankenschwester ein Zeichen, verschwand in dem Raum und schloß die Tür hinter sich.
Der hochgewachsene, flachshaarige Mann, der an Lisas Bett saß, erhob sich sofort. Roy MacDonald beugte sich über seine Schwester, flüsterte ihr etwas zu und kam dann zu Cam herüber. Er mußte so um die fünfundzwanzig sein, schätzte Cam, hatte regelmäßige Gesichtszüge und ernste Augen. Feine Linien der Erschöpfung zeichneten sein Gesicht, doch die Hand, die er Cam entgegenstreckte, war zwar kalt, aber ganz ruhig.
»Sind Sie Sheriff Rafferty?«
»Ja. Ich habe gerade mit Dr. Su gesprochen, Mr. MacDonald. Er ist einverstanden, daß ich Ihrer Schwester jetzt einige Fragen stelle. Das hier ist Mrs. Lomax, unsere Stenografin.«
»Ich will dabeibleiben.«
»Das halte ich auch für das beste.« Cam gab der Stenografin einen Wink, sich bereitzuhalten. »Ich fürchte aber, es wird für Ihre Schwester – und für Sie – nicht ganz leicht werden.«
»Ich tue alles, was erforderlich ist, damit der Kerl, der meiner Schwester das angetan hat, hinter Schloß und Riegel kommt.« Roy MacDonalds Hände öffneten und schlossen sich abwechselnd. Er glich einer wütenden Katze. »Der Arzt sagte mir, sie sei nicht vergewaltigt worden.«
»Nein, es gibt keinen Hinweis auf ein Sexualdelikt.«
»Ein kleiner Trost«, murmelte Roy. »Aber ihr Bein.« Er schluckte hart und bemühte sich, so leise wie möglich
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