Dunkle Herzen
einen Krankenhausbesuch ausgesprochen unpassend erschienen.
»Mrs. Atherton hat mir im Namen des Frauenvereins ein paar Blumen gebracht.« Lisa deutete auf eine mit Frühlingsblumen gefüllte Kupferschale. »Sind sie nicht herrlich?«
»O ja.«
»Der Emmitsboroer Frauenverein möchte Lisa beweisen, daß die ganze Stadt Anteil an ihrem Schicksal nimmt.« Min plusterte sich selbstgefällig auf. Die Idee, Lisa Blumen zu schicken, stammte zwar nicht von ihr, doch sie hatte mit Zähnen und Klauen um das Vorrecht gekämpft, sie überbringen zu dürfen. »Wir alle sind tief betroffen. Clare wird Ihnen bestätigen, daß Emmitsboro eine ruhige, anständige Stadt ist, wo traditionelle Werte noch etwas gelten. Und wir wollen, daß das auch so bleibt.«
»Alle hier waren so freundlich zu mir.« Lisa bewegte sich leicht und zuckte zusammen. Rasch ging Clare zu ihr und klopfte die Kissen in ihrem Rücken auf. »Ihr Doktor Crampton schaut oft vorbei, um nach mir zu sehen und sich ein bißchen mit mir zu unterhalten. Und eine der Krankenschwestern stammt aus Emmitsboro, sie kommt jeden Tag – sogar wenn sie eigentlich frei hat.«
»Das wird Trudy Wilson sein«, nickte Min.
»Trudy, genau. Und dann natürlich Clare.« Lisa griff nach Clares Hand. »Vom Supermarkt kam ein Früchtekorb, und der Sheriff war auch schon mehrmals da. Ich kann kaum glauben, daß all das wirklich passiert ist.«
»Wir sind alle ganz geschockt«, japste Min atemlos. »Ich kann Ihnen versichern, daß jeder hier in der Stadt außer sich war, als wir erfuhren, was Ihnen zugestoßen ist. Der Täter war zweifellos einer von diesen Verrückten, die den ganzen Staat unsicher machen.« Gierig beäugte sie die offene Pralinenschachtel auf Lisas Nachttisch und klaubte sich ein Stück heraus. »Wahrscheinlich sogar derselbe, der Biff Stokey umgebracht hat.«
»Es hat hier einen Mord gegeben?«
Clare wünschte insgeheim, Min möge an der Praline ersticken. »Das ist schon Wochen her«, beruhigte sie rasch. »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken.«
»Keine Sorge«, fiel Min ein und bediente sich erneut. »Hier sind Sie sicher wie in Abrahams Schoß. Habe ich schon erwähnt, daß mein Mann und ich dem Krankenhaus vor ein paar Jahren eine ansehnliche Spende zukommen ließen? Eine größere Summe«, fügte sie mit vollem Mund hinzu. »Man hat uns sogar eine Namenstafel gewidmet. Dies ist eines der renommiertesten Krankenhäuser im ganzen Staat. Hier sind Sie gut aufgehoben. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die behaupten, Biff Stokey habe nur bekommen, was er verdient hat, obwohl ich mich als gute Christin dieser Ansicht nicht anschließen kann. Schließlich ist der Mann zu Tode geprügelt worden.« Ein genüßlicher Unterton hatte sich in ihre Stimme geschlichen, doch das konnte genausogut an den Süßigkeiten liegen.
»Ein grausamer und abstoßender Mord.« Sie leckte etwas Kirschlikör von ihren Fingern. »Der erste in Emmitsboro seit zwanzig Jahren. Mein Mann ist besorgt. Äußerst besorgt. Immerhin ist er der Bürgermeister.«
»Glauben Sie, es könnte sich bei dem Täter um denselben Mann handeln, der mich angriffen hat?«
»Es ist Aufgabe des Sheriffs, das herauszufinden.« Clare warf Min einen warnenden Blick zu, doch diese lächelte nur süß.
»In der Tat. Wir sind alle heilfroh, Cameron Rafferty wiederzuhaben. Sicher, damals hat der Junge ziemlich über die Stränge geschlagen. Ständig raste er auf diesem Motorrad durch die Gegend und suchte Streit.« Min lachte und grabschte nach der nächsten Praline. »Steckte auch oft in Schwierigkeiten. Ich weiß noch, daß so mancher hier fürchtete, er würde einmal hinter schwedischen Gardinen landen. Ich selbst hatte zuerst meine Bedenken, als er sein Amt hier übernahm, aber mir scheint, wenn man einen Unruhestifter sucht, tut man gut daran, einen anderen auf seine Fährte zu setzen.«
»Cam verfügt über eine mehr als zehnjährige Erfahrung im Polizeidienst«, sagte Clare zu Lisa. »Er …«
»Richtig«, unterbrach Min. »Hat in D.C. gearbeitet. Ist da wohl auch in Schwierigkeiten geraten, aber wir sind trotzdem froh, ihn wiederzuhaben. Emmitsboro ist schließlich nicht Washington. Ich versäume nie die Nachrichten auf Kanal Vier, und ich muß sagen, es überläuft mich jedesmal kalt. Da unten vergeht kein Tag, ohne daß mindestens ein Mord geschieht, und wir hier hatten nur einen in zwanzig Jahren. Aber denken Sie bitte nicht, daß es nicht auch hier kleine Tragödien gibt.«
Ein
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