Dunkle Herzen
wo hast du diese Bücher her?«
Ihr Zorn verrauchte. Blair konnte sehen, wie die Wut aus ihren Augen verschwand und einem undefinierbaren Ausdruck Platz machte. »Sie haben Dad gehört.«
»Dad?« Erschrocken lockerte er seinen Griff. Alles hatte er erwartet, nur das nicht. »Was soll das heißen, sie haben Dad gehört?«
»Ich hab’ sie oben im Dachgeschoß gefunden, in den Kartons, die Mom da abgestellt hat. Sie hat fast alle seine Bücher und noch eine Menge anderer Dinge aufgehoben. Sein Arbeitshemd und – und seinen kaputten Kompaß. Die Steine, die er auf seiner Tour zum Grand Canyon gesammelt hat. Blair, ich dachte, sie hätte das alles weggeworfen.«
»Das dachte ich auch.« Blair fühlte sich plötzlich selbst wieder wie ein Kind; verwirrt, verletzlich, unglücklich. »Komm, setzen wir uns.«
Sie ließen sich auf der niedrigen Stufe zwischen Küche und Garage nieder. »Mir kam es immer so vor, als wolle sie nach seinem Tod einfach alles hinter sich lassen, verstehst du?« Clare knetete nervös ihre Hände. »Ich habe ihr das damals sehr übelgenommen; die Art und Weise, wie sie sich zusammengerissen und nach vorne geschaut hat. Aber ich wußte – wenn ich ganz ehrlich zu mir war, wußte ich, wieviel sie damals um die Ohren hatte. Die Firma drohte auseinanderzufallen, dann dieser entsetzliche Skandal wegen des Einkaufszentrums, und dazu kam noch, daß jeder sich fragte, ob Dad nicht doch vielleicht gesprungen ist, obwohl sein Tod offiziell als Unfall deklariert wurde. Sie ist mit alledem fertiggeworden, und dafür habe ich sie gehaßt.«
Ihr Bruder legte ihr den Arm um die Schulter. »Sie mußte vor allem an uns denken.«
»Ich weiß. Es ist nur so – mir schien es damals, als funktioniere sie nur wie eine gut geölte Maschine. Sie tat, was zu tun war, ohne auch nur einmal zu zögern, ohne die geringste Spur von Schwäche. Manchmal kam es mir so vor, als würde das alles sie überhaupt nicht berühren. Doch dann fand ich Dads Sachen. Sie hat sie so sorgfältig und liebevoll verpackt, hat all den Krimskrams aufgehoben, der ihm so viel bedeutet hat. Ich glaube, da ist mir klargeworden, wie ihr zumute gewesen sein muß. Ich wünschte nur, sie hätte mich ihr helfen lassen.«
»Du warst damals nicht in der Verfassung, irgend etwas zu tun. Für dich war es viel schlimmer als für mich, Clare. Ich habe ja nie gesehen, wie …« Er schloß kurz die Augen und lehnte seinen Kopf an ihre Stirn. »Und Mom auch nicht. Wir alle hatten den Verlust zu tragen, aber du warst die einzige, die es mit eigenen Augen mitansehen mußte. Mom hat die ganze Nacht an deinem Bett gesessen.«
Clare sah ihren Bruder an, dann senkte sie den Blick. »Davon hatte ich keine Ahnung.«
»Doc Crampton hat dir zwar ein Beruhigungsmittel gegeben, aber du hast trotzdem dauernd im Schlaf geschrien. Und geweint.« Als Clare die Hand nach ihm ausstreckte, nahm Blair sie zwischen die seinen. »Sie ist die ganze Nacht bei dir geblieben. Danach überstürzten sich die Ereignisse. Erst das Begräbnis, dann die Schmiergeldaffäre.«
»Und ich habe nichts begriffen. Überhaupt nichts.«
Einen Moment lang saßen sie schweigend nebeneinander. Dann bat Blair: »Erzähl mir von den Büchern.«
»Ich habe sie oben gefunden. Du weißt doch, daß Dad jedes Buch verschlungen hat, das er in die Finger bekam.« Die Worte überschlugen sich fast. Clare stand auf und rang um Beherrschung. »Du weißt auch, daß er von der Religion förmlich besessen war. Seine Erziehung …«
»Ich weiß, ich weiß.« Besessenheit. Auflehnung gegen herrschende Regeln. Machthunger. Großer Gott!
»Nun, er hat solche Werke begeistert gelesen, von den Thesen Martin Luthers bis hin zum Buddhismus, dazu alles,
was dazwischen lag. Ich glaube, er suchte nach so etwas wie dem richtigen Weg – wenn es den überhaupt gibt. Aber das ist ja heute bedeutungslos.«
Auch Blair erhob sich und ergriff ihre unruhigen Hände. »Hast du Cam schon informiert?«
»Warum sollte ich?« Unterschwellige Panik schwang in ihrer Stimme mit. »Das geht ihn nichts an.«
»Wovor hast du eigentlich Angst?«
»Vor gar nichts. Wovor sollte ich Angst haben? Und ich schlage vor, wir beenden jetzt diese Diskussion. Ich bringe die Bücher einfach dorthin zurück, wo ich sie hergeholt habe.«
»Cam hegt den Verdacht, daß Biffs Tod und der Angriff auf Lisa MacDonald etwas mit einem Satanskult zu tun haben könnten.«
»Lächerlich. Und selbst wenn an dieser Theorie etwas dran sein sollte, was
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