Dunkle Herzen
nicht!«
»Ich habe wunderbare Dinge gesehen, Clare, und glaube mir, ich weiß, daß Keuschheit und Askese einen Mann nicht zum ewigen Seelenheil führen. Aber unser Weg, der Weg der Wollust und der Zügellosigkeit, führt hin zur absoluten Macht.« Er lächelte sie an, doch in seinen Augen brannte ein Feuer, über das sie lieber nicht nachdenken wollte.
»Gleich geht es dir besser. Vertrau mir. Wenn du dich beruhigt hast, verbinde ich deine Wunden und gebe dir etwas zu essen. Ich möchte dich nicht unnötig quälen. Bald ist alles vorbei.«
Clare schrie auf und wehrte sich, so gut sie konnte, doch er hielt ihren Arm fest und ließ die Nadel vorsichtig unter ihre Haut gleiten.
Die Zeit hatte jegliche Bedeutung verloren. Clare nahm das Geschehen um sie herum wie im Nebel wahr. Die Droge hatte ihren Willen gelähmt. Widerstandslos ließ sie zu, daß
Dr. Crampton ihre Wunden säuberte und verband und dankte ihm sogar mit einem höflichen, leeren Lächeln, als er sie mit einem Hamburger fütterte.
Ihr Geist war in ihre Kindheit zurückgekehrt. Sie lag, angetan mit ihrem mit tanzenden Kätzchen bedruckten Nachthemd, krank im Bett. Richtig, sie hatte die Grippe, deswegen fühlte sie sich so elend. Wie im Traum schwebte sie an Dr. Cramptons Hand nach draußen, damit sie urinieren konnte, danach brachte er sie wieder ins Bett und befahl ihr zu schlafen. Gehorsam schloß Clare die Augen. Sie spürte nicht, daß er sie wieder fesselte.
Sie träumte von ihrem Vater. Er weinte. Saß am Küchentisch und weinte. Nichts, was sie sagte oder tat, schien ihn trösten zu können.
Dann war es Cam, der sie auf dem Küchenfußboden liebte. Ihr nackter Körper glänzte vor Schweiß, als sie sich über ihn rollte.
Aber plötzlich fand sie sich auf einer Art Altar wieder, an Händen und Füßen gefesselt, und ihr brennendes Verlangen hatte sich in eiskalte Furcht verwandelt. Und es war Ernie, der auf ihr lag.
Als sie erwachte, fröstelte sie, und ihr war speiübel. Sie drückte ihr Gesicht in die Kissen und suchte nach Worten, doch ihr fehlte die Kraft zum Beten.
»Seit gestern morgen ist sie nicht mehr gesehen worden.« Cam rieb sich mit der Hand über das Gesicht, während er mit der Staatspolizei telefonierte. »Ihr Haus war unverschlossen, und es ist offenbar nichts gestohlen worden. Kleidung, Schmuck, ihr Werkzeug und all ihre Papiere sind noch da.« Er verstummte, um einen Zug von seiner Zigarette zu nehmen, obwohl seine Kehle bereits wund war. »Ich habe mit ihrem Bruder und ihren Freunden gesprochen. Keiner hat etwas von ihr gehört.« Sein Magen krampfte sich zusammen, als er eine genaue Personenbeschreibung durchgab. »Weiblich, weiß, Alter achtundzwanzig, ungefähr einssiebzig groß. Wiegt so um die hundertfünfzehn Pfund. Rotes, schulterlanges Haar, Ponyfrisur.
Bernsteinfarbene Augen. Nein, nicht braun. Bernsteinfarben. Keine besonderen Kennzeichen. Sie könnte mit einem roten Toyota, neuestes Modell, unterwegs sein. New Yorker Kennzeichen.«
Er bat den Trooper am anderen Ende der Leitung, alles noch einmal zu wiederholen. Als er einhängte, bemerkte er Bud Hewitt, der zögernd in der Tür stand. »Die halbe Stadt hält nach ihr Ausschau.« Da er nicht recht wußte, was er sagen sollte, deutete Bud auf die Kaffeekanne. »Möchtest du einen?«
Sein Blut dürfte inzwischen zu neunzig Prozent aus Koffein bestehen, schätzte Cam. »Nein, danke.«
»Hast du die Presse informiert?«
»Ja. Sie veröffentlichen ihr Bild.« Wieder rieb Cam sich über das Gesicht. »Verdammte Scheiße.«
»Du solltest versuchen, ein bißchen zu schlafen, du hast ja seit mindestens vierundzwanzig Stunden kein Auge zugetan.« Bud schob die Hände in die Hosentaschen. »Ich weiß, wie dir zumute ist.«
Cam blickte hoch. »Das glaube ich dir gerne. Ich werde noch mal durch die Stadt fahren. Hältst du hier die Stellung?«
»Klar. Mick hat sich wirklich die richtige Zeit ausgesucht, um krank zu werden. Wir könnten ihn brauchen.«
Cam nickte nur. »Wir bleiben in Funkkontakt.« Das Telefon klingelte, und er hob rasch den Hörer ab. Nach einem kurzen Gespräch hängte er wieder ein. »Ich hab’ die Genehmigung, Mona Shermans Bankkonten zu überprüfen.«
»Soll ich das übernehmen?«
»Nein, dann hab’ ich wenigstens etwas zu tun. In einer halben Stunde bin ich wieder da.«
Aber noch eine halbe Stunde später hämmerte Cam an die Tür von Mona Shermans Apartment.
»Ja doch, ja doch. Ich komm’ ja schon.« Sie öffnete die Tür
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