Dunkle Herzen
zusammen mit dem lieblichen Gesang eines Ziegenmelkers durch das geöffnete Fenster.
»Wann hast du denn deine Meinung geändert?« hatte er sie gefragt.
»Worüber?«
»Über unsere Heirat.«
»Ich habe meine Meinung nicht geändert.« Sie hatte sich auf ihn gerollt, die Arme über seiner Brust gekreuzt und ihr Kinn darauf gestützt. »Ich habe nur endlich einen Entschluß gefaßt.« Er erinnerte sich an ihr Lächeln. Ihre Augen hatten tiefgolden geschimmert. »Meine erste Ehe war ein fürchterlicher Reinfall, und das hat mich mißtrauisch gemacht. Nein …« Sie hatte tief Atem geholt und sich gezwungen, ihre Worte sorgfältig zu wählen. »Es machte mich unsicher, weil ich der Meinung war, ich hätte alles gegeben. Aber das hatte ich nicht getan.«
»Am Scheitern einer Ehe trägt niemals nur ein Partner die Schuld.«
»Nein, wir haben beide Fehler gemacht, das ist mir inzwischen klar. Mein größter Fehler war wohl, daß ich nicht um diese Beziehung gekämpft habe. Als sich die ersten ernsten Schwierigkeiten abzeichneten, ließ ich den Dingen einfach ihren Lauf und zog mich in mich selbst zurück. Das habe ich mir nach dem Tod meines Vaters angewöhnt, aus reinem Selbstschutz. Eine ganz einfache Formel: Laß nichts an dich heran, und nichts kann dich verletzen. Nur bei dir klappt das nicht.«
»Also heiratest du mich nur, weil ich deine bislang bewährte Formel widerlege?«
»Nicht nur deshalb.« Sie hatte ihre Lippen auf seinen Hals gedrückt. »Ich liebe dich, Cam.« Ihr Mund brannte heiß auf seiner Haut. »Du solltest dich besser mit dem Bau dieser Garage beeilen.«
Seitdem hatte er sie nicht mehr gesehen.
Seine innere Unruhe trieb ihn hinaus in ihre Garage. Ihre Werkzeuge lagen so da, wie sie sie fallengelassen hatte, und warteten darauf, benutzt zu werden. Auf dem Arbeitstisch türmten sich Berge von Zeichnungen, und der Fußboden war mit Holzspänen übersät.
Wenn sie jetzt durch die Tür käme, würde sie ihn auslachen, weil er sich selbst verrückt machte. Und er müßte ihr dann wohl recht geben. Wenn seine Nerven nicht bis zum Zerreißen gespannt wären, hätte er an die Tatsache, daß sie
einmal nicht zu Hause war, keinen zweiten Gedanken verschwendet. Aber ihm steckte das Gespräch mit Mona Sherman noch in den Knochen. Er war sich ziemlich sicher, daß er in eine Falle gelockt werden sollte.
Mona Sherman hatte gelogen oder zumindest die Wahrheit mit so vielen Lügen verfeinert, daß er das eine nicht mehr von dem anderen unterscheiden konnte. Und nun mußte er erst einmal beweisen, daß sie gelogen hatte, und dann den Grund dafür herausbekommen.
Aber all das hatte mit Clare nichts zu tun. Und er würde dafür sorgen, daß sich daran auch nichts änderte.
Ernie beobachtete, wie Rafferty zu seinem Wagen ging, einstieg und davonfuhr. Wie das Kind, das er so gerne wieder gewesen wäre, kroch er in sein Bett und zog sich die Decke über den Kopf.
Als Clare erwachte, war es dunkel. Da die Fensterläden fest verschlossen waren, konnte sie nicht erkennen, ob draußen Tag oder Nacht herrschte. Ein dumpfer, hämmernder Schmerz marterte ihren Kopf, und als sie sich bewegen wollte, stellte sie entsetzt fest, daß ihre Hände und Füße an die eisernen Bettpfosten gebunden waren.
Eine Welle blinder Panik schlug über ihr zusammen. Sie kämpfte wild gegen ihre Fesseln an, riß und zerrte an den Stricken, bis der sengende Schmerz die Angst überdeckte und sie verzweifelt in die muffigen Kissen schluchzte.
Sie wußte nicht, wie lange sie brauchte, um ihre Beherrschung zurückzugewinnen; es war ihr auch egal. Sie war allein. Wenigstens war Atherton um den Triumph gekommen, sie so völlig außer Fassung zu sehen.
Atherton. Der pflichtgetreue Bürgermeister von Emmitsboro. Ihres Vaters Freund. Der engagierte Lehrer und ergebene Ehemann. Es war seine Stimme gewesen, die sie vor so vielen Jahren vernommen hatte, seine Hand, die das Messer gehoben hatte, bereit, einen hilflosen Ziegenbock zu töten.
All die Jahre hatte er im Dienst der Stadt gestanden,
dachte sie benommen. Und all die Jahre hatte er die Stadt insgeheim zerstört.
Dr. Crampton. Der beste Freund ihres Vaters, ein väterlicher Freund für die kleine Clare. Der Gedanke an Alice erfüllte sie mit tiefer Verzweiflung. Wie sollte Alice jemals darüber hinwegkommen, wenn sie es erfuhr? Würde sie die schreckliche Wahrheit je akzeptieren können? Niemand verstand besser als Clare selbst, was es hieß, den Vater zu verlieren.
Ernie.
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