Dunkle Herzen
mußt mir bei Gelegenheit mal erzählen, wie es dir dort gefällt. Mach bitte noch einmal eine Faust.« Kopfschüttelnd riß sie ein Blatt von ihrem Zeichenblock ab. »Weißt du, ich würde den Arm lieber von der Schulter ab skizzieren. Ziehst du mal dein Hemd aus? Es ist warm genug.«
Er blickte sie an. In seinen Augen brannte ein verborgenes Feuer, als er sein Hemd über den Kopf streifte. Sie wollte ihn. Er wußte es.
Clare sah jedoch nur einen schlanken, zornigen Jungen
auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Eine schwierige Phase, dachte sie. Doch vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet war sein schmaler, überraschend muskulöser Arm eine Augenweide. Er steckte voll ungenutzter Kraft.
»So wird es gehen.« Sie hüpfte vom Tisch herunter. »Ich zeig’ dir jetzt die richtige Pose, aber keine Sorge, lange brauchst du den Arm nicht so zu halten, das wird zu unbequem.«
Sie nahm seinen Arm, schloß die Hand um seinen Ellbogen, hob ihn an und beugte ihn nach vorne, dann legte sie ihre Finger um die seinen, damit er wieder die Faust ballte.
»Wenn du den Arm in diesem Winkel halten könntest … gut, jetzt die Muskeln leicht anspannen. Großartig. Du bist ein Naturtalent.« Als sie einen Schritt zurücktrat, bemerkte sie den Anhänger auf seiner Brust, ein silbernes, seltsam geformtes Amulett, das sie an ein Pentagramm erinnerte. Fragend sah sie ihn an. »Was ist denn das? Ein Talisman?«
Schützend legte er seine freie Hand über den Anhänger. »So was Ähnliches.«
Da sie fürchtete, ihn in Verlegenheit gebracht zu haben, griff sie wortlos nach ihrem Block und begann wieder zu zeichnen.
Sie arbeitete eine Stunde lang schweigend und konzentriert, ließ ihn aber zwischendurch immer wieder eine Pause machen, um den Arm auszuruhen. Ein- oder zweimal bemerkte sie, wie er sie nachdenklich betrachtete, mit einem seinem Alter gänzlich unangemessenen Funkeln in den Augen. Belustigt und leicht geschmeichelt nahm sie es hin. Vielleicht hatte sich der Junge ein bißchen in sie verguckt.
»Ausgezeichnet, Ernie. Ich würde gerne mit dem Tonmodell anfangen, sobald du wieder mal Zeit hast.«
»Okay.«
»Jetzt hole ich dir erst mal dein Geld.«
Sowie sie außer Sicht war, schlenderte Ernie durch die Garage, um sich genauer umzusehen. Sein Blick fiel auf die Skulptur in der Ecke, und er blieb wie angewurzelt stehen. Wieder schlossen sich seine Finger um das umgekehrte
Pentagramm, während er die Figur, halb Mensch, halb Monster, studierte, die aus Metall und Alpträumen geformt worden war.
Das war sein Zeichen, dachte er. Sein Atem ging rascher, und seine Finger zitterten leicht, als er die Statue ehrfürchtig berührte. Diese Frau war für ihn bestimmt. Seine Gebete waren erhört, seine Opfergaben angenommen worden. Der Herrscher der Finsternis hatte ihm diese Frau geschickt. Nun mußte er nur noch den richtigen Zeitpunkt abwarten, um sich zu nehmen, was ihm zustand.
»Was hältst du davon?«
Vorsichtig schlüpfte Ernie in sein Hemd, ehe er sich umdrehte. Clare stand, leicht nach Seife und Schweiß duftend, hinter ihm und starrte die Skulptur an.
»Sie strahlt Macht aus.«
Eine erstaunliche Analyse für einen Siebzehnjährigen. Neugierig musterte sie ihn. »Hast du schon mal daran gedacht, Kunstkritiker zu werden?«
»Warum haben Sie die gemacht?«
»Ich konnte nicht anders.«
Die Antwort paßte perfekt ins Bild. »Sie werden noch mehr davon machen.«
Clare warf dem Haufen Metall auf dem Schweißtisch einen Blick zu. »So sieht es aus.« Sie schüttelte sich kurz, dann hielt sie ihm ein paar Scheine hin. »Vielen Dank, daß du mir Modell gestanden hast.«
»Hab’ ich gern getan. Ich kann Sie gut leiden.«
»Danke. Ich dich auch.« Das Telefon begann zu klingeln, und Clare drehte sich zur Küchentür. »Ich muß weg. Hoffentlich seh’ ich dich bald wieder, Ernie.«
»Bestimmt.« Er wischte sich die feuchten Hände an seinen Jeans ab. »Ich komme wieder.«
Clare öffnete mit der einen Hand den Kühlschrank und hob mit der anderen den Hörer ab. »Hallo?«
Während sie einen Hot Dog, Senf, Gewürzgurken und eine Cola herausholte, drangen schwere, feuchte Atemzüge an ihr Ohr. Grinsend steckte sie den Hot Dog in die Mikrowelle und begann, ihrerseits schwer zu atmen, wobei sie
gelegentlich noch heiser in den Hörer keuchte. »Ja, ja, o ja!« Nachdem sie die Zeitschaltuhr eingestellt hatte, öffnete sie die Flasche. »O Gott, bitte nicht aufhören!« Mit einem langgezogenen Stöhnen beendete sie ihre
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