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Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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letzten zehn Jahre hatte sie ziemlich zugenommen.
Cam konnte ihre Figur beim besten Willen nur als matronenhaft bezeichnen. Ihr einst leuchtendblondes Haar war zu einer faden, undefinierbaren Farbe ausgeblichen. Zweimal im Jahr ließ sie sich bei Betty eine Dauerwelle legen, die sie von dem bezahlte, was sie heimlich vom Haushaltsgeld abzweigen konnte. Heute jedoch hatte sie ihr Haar einfach aus dem Gesicht gekämmt und mit zwei großen Haarklammern festgesteckt.
    Früher einmal war sie bildhübsch gewesen. Cam wußte noch, wie stolz er als kleiner Junge auf sie gewesen war. Jedermann hatte sie als das hübscheste Mädchen im Staate Maryland bezeichnet. In dem Jahr, bevor sie Mike Rafferty heiratete, war sie sogar zur Farmkönigin gewählt worden. Irgendwo existierte noch ein Bild von ihr, in einem weißen Rüschenkleid, die Siegerschärpe quer über der Brust. Strahlend und siegessicher lächelte sie in die Kamera, ihr junges Gesicht leuchtete vor Triumph.
    Nun war sie alt, dachte Cam, und diese Erkenntnis versetzte ihm einen Stich ins Herz. Alt, ausgelaugt und verbraucht. Daß Spuren der früheren Schönheit immer noch in diesem faltendurchzogenen, abgespannten Gesicht nisteten, machte die Sache irgendwie noch schlimmer.
    Jane schminkte sich nie. Biff hatte ihr klargemacht, daß er es nicht dulden würde, wenn sich seine Frau wie eine Hure anmalte. Unter den einst strahlendblauen Augen lagen dunkle Schatten, und tiefe Linien hatten sich um den Mund, den vor fünfunddreißig Jahren jeder junge Bursche in Emmitsboro liebend gern geküßt hätte, eingegraben.
    »Mom.«
    »Cameron.« Die Furcht, die beim Anblick ihres Sohnes in ihr aufgestiegen war, ließ nach, als ihr einfiel, daß Biff nicht zuhause war. Ihr Blick fiel auf Clare, und mit jener typischen Bewegung, die bei Frauen Verlegenheit ausdrückt, zupfte sie an ihrem Haar. »Ich wußte nicht, daß du vorbeikommen und noch jemanden mitbringen wolltest.«
    »Das ist Clare Kimball.«
    »Ja, ich weiß.« Jane besann sich auf ihre Manieren und lächelte Clare an. »Ich erkenne Sie wieder – Jacks und Rosemarys
Tochter. Und ich habe Ihr Bild mal in einer Zeitschrift gesehen. Kommen Sie doch herein.«
    »Danke.«
    Sie traten in das Wohnzimmer, welches mit verblichenen Polstermöbeln, gestärkten Zierdeckchen und einem riesigen, schimmernden Fernsehapparat ausgestattet war. Vor letzterem hatte Biff es sich mit einem Sechserpack Bier gerne bequem gemacht und sich Krimis oder Fußballspiele angeschaut.
    »Setzt euch.« Erneut wischte sich Jane nervös die Hände an der Schürze ab. »Soll ich Eistee machen?«
    »Laß nur, Mom.« Cam ergriff ihre unruhigen Hände und führte Jane zum Sofa. Die Polster rochen nach ihm , dachte er mit zusammengebissenen Zähnen.
    »Das macht gar keine Umstände.« Jane schenkte Clare, die sich auf dem Stuhl gegenüber niedergelassen hatte, ein zaghaftes Lächeln. »Warm heute, nicht wahr? Und die Luftfeuchtigkeit ist unerträglich.«
    »Mom.« Cam hielt immer noch ihre Hände fest und knetete sie sanft. »Ich muß mit dir reden.«
    Jane biß sich auf die Lippe. »Was ist los? Irgendwas stimmt doch nicht. Du hast dich bestimmt wieder mit Biff angelegt. Es ist nicht richtig, daß du ihn immer provozierst, Cam. Du solltest Respekt vor ihm haben.«
    »Ich habe mich nicht mit Biff gestritten, Mom.« Er mußte es ihr auf die harte Tour beibringen, dachte Cam. »Biff ist tot. Wir haben ihn heute morgen gefunden.«
    »Tot?« Jane wiederholte das Wort, als ob sie es noch nie zuvor gehört hätte. »Tot?«
    »Es muß irgendwann letzte Nacht passiert sein.« Cam suchte nach Worten des Mitgefühls. Sie wollten ihm nicht über die Lippen kommen. »Tut mir leid, dir das sagen zu müssen.«
    Langsam, wie eine Marionette, entzog sie ihm ihre Hände und schlug sie vor den Mund. »Du – du hast ihn umgebracht. O Gott, o Gott! Du hast immer gedroht, du würdest ihn umbringen.«
    »Mom.« Er streckte die Hand nach ihr aus, doch sie fuhr
zurück und begann, sich langsam hin- und herzuwiegen. »Ich habe ihn nicht umgebracht«, sagte Cam tonlos.
    »Du hast ihn gehaßt.« Jane wiegte sich nun rascher, vor und zurück, vor und zurück, die trüben Augen auf ihren Sohn gerichtet. »Immer schon hast du ihn gehaßt. Ich weiß, daß er streng mit dir umgegangen ist, aber das geschah doch nur zu deinem Besten. Nur zu deinem Besten.« Die Worte überstürzten sich förmlich. »Dein Daddy und ich, wir haben dich zu sehr verwöhnt. Biff hat das sofort erkannt. Er hat

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