Dunkle Herzen
ihr Haar und atmete den sauberen, frischen Geruch tief ein, um so den widerlichen Gestank des Todes zu vergessen. »Tut mir wirklich leid.«
Abwehrend zuckte sie mit den Achseln. »Vergiß es.«
»Du hast um mich Angst gehabt.«
»Ein vorübergehender Zustand der Unzurechnungsfähigkeit. Ist schon vorbei.« Trotz der barschen Worte schlang sie die Arme um ihn und drückte ihn kurz. Über ihre Reaktion würde sie später nachdenken, schwor sie sich, ehe sie ihn freigab. »Was geht hier vor?«
»Später.« Über ihren Kopf hinweg beobachtete er, wie die Sanitäter mit ihrer grausigen Last die Böschung hochkamen. »Fahr bitte nach Hause, Clare.«
»Ich wollte meine Nase nicht in deine Dienstangelegenheiten stecken«, fing sie an, streckte die Hand nach dem Türgriff aus und drehte sich dann noch einmal um, um Bud eine Entschuldigung zuzurufen. In diesem Moment fiel ihr Blick auf den dicken schwarzen Plastiksack. »Wer ist es?« flüsterte sie.
»Biff.«
Langsam wandte sich Clare zu Cam um. »Was ist geschehen?«
Das Feuer in seinen Augen war erloschen. Jetzt blickten sie merkwürdig distanziert. »Die Ermittlungen laufen noch.«
Clare legte eine Hand über die seine. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Was hast du jetzt vor?«
»Jetzt?« Er rieb sich das Gesicht. »Jetzt fahre ich raus auf die Farm, um meiner Mutter mitzuteilen, daß ihr Mann tot ist.«
»Ich werde dich begleiten.«
»Nein, ich will nicht, daß du …«
»Was du willst, ist momentan zweitrangig. Deine Mutter könnte die Hilfe einer anderen Frau brauchen.« Clare erinnerte sich daran, wie ihre eigene Mutter von einem vergnügten Abend mit Freunden nach Hause gekommen war und einen Notarztwagen in der Einfahrt, eine Horde von Leuten auf dem Rasen und ihren Mann in einem Plastiksack vorgefunden hatte. »Ich weiß, wie das ist, Cam.« Ohne auf seine Zustimmung zu warten, schlüpfte sie hinter das Steuer. »Fahr vor, ich folge dir.«
Neuntes Kapitel
Die Farm, auf der Cam aufgewachsen war, hatte sich im Lauf der vergangenen dreißig Jahre kaum verändert. Ein Hauch des Charmes, den es zu Lebzeiten von Cams Vater besessen hatte, lag immer noch über dem Haus. Immer noch grasten gescheckte Kühe auf der leicht abfallenden Weide zwischen Scheune und Melkhaus. Auf einem hügeligen Feld wuchs Futterheu, dessen Halme sich sanft in der leisen Frühlingsbrise wiegten. Hinter dem Hühnerzaun pickte und scharrte eine Anzahl Rhode Island Reds herum.
Das weitläufige Haus erstreckte sich über drei Stockwerke, verfügte über eine großzügige Veranda und hatte hohe,
schmale Fenster. Doch die Farbe blätterte bereits an vielen Ecken ab, mehr als nur ein paar Fensterscheiben wiesen Sprünge auf, und eine Reihe von Dachziegeln fehlte. Biff hatte nur sehr ungern Geld für Dinge ausgegeben, die keinen Profit versprachen, es sei denn, es handelte sich um Huren und Bier.
Neben dem ausgefahrenen, schlammigen Feldweg, der zum Haus führte, wuchsen noch ein paar halbverblühte Narzissen. Cam erinnerte sich, daß er seiner Mutter vor zwei Monaten Geld für eine Ladung Schotter gegeben hatte. Vermutlich hatte sie den Scheck eingelöst und Biff das Geld ausgehändigt.
Ihr Küchengarten, den sie hinter dem Haus angelegt hatte, wurde offenbar sorgfältig gewässert und gejätet. Doch die Beete, mit denen sie sich früher soviel Mühe gegeben hatte, waren nicht bepflanzt worden. Unkraut wucherte darüber.
Cam mußte plötzlich an einen Tag in seiner Kindheit – er mußte damals fünf oder sechs gewesen sein – denken. Er hatte neben seiner Mutter auf dem Boden gesessen und ihr zugesehen, wie sie ein Beet umgrub, um Stiefmütterchen zu setzen. Bei der Arbeit hatte sie gesungen.
Wann hatte er sie zum letzten Mal singen gehört?
Er stellte den Wagen am Ende des Feldweges ab, neben dem betagten Buick seiner Mutter und dem verrosteten Pritschenwagen. Biffs brandneuer Caddy war nirgends zu sehen. Still wartete er auf Clare, die direkt neben ihm parkte. Sie stieg aus, ging zu ihm und drückte aufmunternd seinen Arm, ehe sie die ausgetretenen Stufen zur Veranda hochstiegen.
Zu ihrer Überraschung klopfte er an. Ob sie sich wohl auch verpflichtet fühlen würde, anzuklopfen, ehe sie das Haus, das ihre Mutter und Jerry nach ihrer Rückkehr aus Europa beziehen würden, betrat? Schnell schüttelte sie diesen schmerzlichen Gedanken ab.
Jane Stokey öffnete die Tür, wischte sich die feuchten Hände an ihrer Schürze ab und blinzelte gegen die Sonne. Während der
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