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Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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diesem Karton fand sie ihren Vater wieder.
    Mit einem unartikulierten Laut, halb Freude, halb Verzweiflung, griff sie hinein und zog ein Arbeitshemd hervor, das ihr Vater immer im Garten getragen hatte. Obwohl es gewaschen und sorgfältig zusammengelegt worden war, waren Gras- und Schmutzflecke in dem Stoff zurückgeblieben.
Plötzlich stand das Bild ihres Vaters in ausgeblichenen Jeans, die um seinen mageren Körper schlotterten, während er durch die Zähne pfeifend, seine Blumen hegte und pflegte, kristallklar vor ihren Augen.
    »Sieh dir nur diesen Rittersporn an, Clare.« Er hatte ihr zugelächelt und mit seinem knochigen, erdverkrusteten Finger so zart über die tiefblauen Blüten gestrichen, als habe er ein Neugeborenes vor sich. »Er wird noch schöner als im vorigen Jahr. Ich sag’s ja immer, es geht doch nichts über ein paar Hornspäne. Die Blumen danken es einem.«
    Clare vergrub ihr Gesicht in dem Hemd und sog den Duft in sich auf. Fast meinte sie, ihren Vater neben sich zu spüren.
    »Warum mußtest du mich nur allein lassen?« Das Hemd fest an sich gedrückt, wiegte sie sich hin und her, als könne sie auf diese Weise das, was ihr von ihm geblieben war, in sich aufnehmen. Dann kam der Zorn; heiße Fäuste der Wut, die sich um die würgende Trauer legten. »Du hattest kein Recht, mich gerade dann allein zu lassen, als ich dich am nötigsten brauchte, Daddy. Ach, Daddy, warum nur?«
    Sie sank auf dem Boden zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf.
    Ernie beobachtete sie. Die Vorfreude, vermischt mit dunkler Erregung, die ihn erfüllt hatte, ebbte ab, und unerwartet überflutete ihn eine heiße, unerwünschte Welle der Scham. Sein Gesicht und Nacken begannen zu glühen, als ihre abgehackten, würgenden Schluchzer durch den Raum klangen. Leise schlich er davon, doch die Jammerlaute verfolgten ihn, bis er zu rennen begann, um ihnen zu entgehen.
     
    Dr. Loomis hatte auf dem Stuhl gegenüber von Cam Platz genommen; die Hände hatte er über seiner Aktentasche gefaltet.
    »Als ich erfuhr, daß es sich bei dem Dahingeschiedenen um Ihren Vater handelt …«
    »Stiefvater«, berichtigte Cam.
    »Richtig.« Loomis räusperte sich. »Als ich erfuhr, daß er Ihr Stiefvater ist, dachte ich, es sei das beste, Ihnen meinen Bericht persönlich vorbeizubringen.«
    »Ich weiß Ihre Mühe zu schätzen.« Cam fuhr fort, den Autopsiebericht Wort für Wort zu studieren. »Ihre Untersuchungsergebnisse bestätigen also, daß wir es hier mit einem Mord zu tun haben.«
    »Es besteht kein Zweifel, daß er ermordet wurde.« Loomis löste seine Hände voneinander, knetete kurz die Finger und faltete sie wieder. »Die Autopsie hat ergeben, daß meine ursprüngliche Vermutung richtig war. Der Mann wurde zu Tode geprügelt. Anhand der Knochenstückchen und Holzsplitter, die wir gefunden haben, würde ich sagen, daß wenigstens zwei Knüppel benutzt wurden, einer aus natürlichem Kiefernholz und einer, der schwarz gefärbt worden ist.«
    »Das bedeutet, daß wir es mit mindestens zwei verschiedenen Mördern zu tun haben.«
    »Das halte ich für möglich. Darf ich mal?« Loomis nahm die Fotos, die Cam am Tatort gemacht hatte, in die Hand, schob sie sorgfältig zusammen und hielt sie Cam hin, als wolle er ihm ein paar Schnappschüsse von seiner Familie zeigen. »Sehen Sie, dieser Schlag hat den hinteren Schädelbereich getroffen, übrigens die einzige Verletzung am rückwärtigen Teil des Körpers. Die Quetschung sowie die Verfärbungen lassen darauf schließen, daß der Schlag vor Eintritt des Todes erfolgte. Er war hart genug, um zur Bewußtlosigkeit zu führen. Dann achten Sie bitte auf die Hand- und Fußgelenke.«
    »Jemand hat ihn von hinten niedergeschlagen, und zwar so fest, daß er das Bewußtsein verlor. Dann wurde er gefesselt.« Cam griff nach seiner Zigarettenpackung. »Er wurde flach auf den Rücken gebunden, um genau zu sein.«
    »Exakt.« Loomis lächelte zufrieden. »Die Tiefe der Wunden und die Menge der Fasern, die wir darin gefunden haben, beweisen, daß er sich heftig zur Wehr gesetzt haben muß.«
    »Würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, daß der Fundort nicht mit dem Ort, wo er getötet wurde, übereinstimmt?«
    »Da bin ich ganz klar Ihrer Meinung.«
    Cam stieß eine Rauchwolke aus. »Sein Auto ist gefunden worden. Die Stereoanlage fehlt, zusammen mit seiner Waffe und einem Kasten Bier, den er im Kofferraum hatte. Der Kassenbon für das Bier lag noch im Auto. Er hat es am selben Nachmittag gekauft.«

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