Dunkle Herzen
würde er sogar, wenn sein Streifendienst vorüber war, auf eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen bei Martha’s vorbeischauen. Er könnte Alice anbieten, sie nach Hause zu begleiten, ihr den Arm um die Schulter legen und beiläufig erwähnen, daß der neue Film mit Sylvester Stallone im Kino angelaufen war.
Je länger er darüber nachdachte, um so besser gefiel ihm die Idee, also beschleunigte er sein Tempo um ein paar Meilen pro Stunde. Während er die Quarry Road hinunterfuhr, tappte er mit dem Fuß auf den Boden und dachte daran, wie schön es wäre, mit Alice an seiner Seite Stallone bei der Vernichtung seiner Gegner zuzuschauen. Außerdem war es im Kino dunkel …
Als er um eine Kurve bog, sah er plötzlich Metall aufblitzen. Sofort nahm er Gas weg und blinzelte in die sinkende Sonne. Vermutlich ein Liebespaar im Auto, dachte er angewidert. Diese verdammten Kids warteten noch nicht einmal mehr, bis es dunkel wurde.
Er lenkte den Wagen an den Straßenrand und stieg aus. Nichts brachte ihn mehr in Verlegenheit, als wenn er die Nase gegen die Scheibe eines parkenden Autos pressen und die Insassen auffordern mußte, sich zu entfernen.
Erst letzte Woche hatte er Marci Gladhill ohne Bluse erwischt. Obwohl er rasch den Blick abgewandt hatte, fiel es ihm immer noch schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß er Less Gladhills Tochter auf den gutentwickelten Busen geschaut hatte. Und sollte Less je davon Wind bekommen, würde er ihm nicht mehr ins Gesicht sehen können.
Resigniert zwängte er sich ins Gebüsch. Es war nicht das erste Mal, daß er Jugendliche beim Knutschen im Wald ertappt hatte, aber noch nie hatte er welche in einem Cadillac
erwischt. Kopfschüttelnd ging er einen Schritt weiter und erstarrte.
Nicht in irgendeinem Caddy, stellte er fest, sondern in Biff Stokeys Caddy. Jeder in der Stadt kannte das schwarzglänzende Gefährt mit den leuchtendroten Polstern. Zweige knackten unter Buds Füßen, als er näher an den Wagen herantrat.
Er war zur Hälfte in ein wildes Brombeergebüsch geschoben worden, dessen Dornen häßliche, dünne Kratzer auf dem schimmernden schwarzen Lack hinterlassen hatten.
Biff hätte einen Herzinfarkt bekommen, dachte Bud und schauderte, als ihm einfiel, was Biff zugestoßen war.
Entschlossen verdrängte er diesen Gedanken und entfernte schimpfend eine Reihe von Dornen aus seiner Hose. Im letzten Moment erinnerte er sich daran, zum Öffnen der Tür ein Taschentuch zu benutzen.
Die Stereoanlage mit integriertem CD-Player, mit der Biff ständig geprahlt hatte, war verschwunden. Sorgfältig und geschickt ausgebaut worden, wie Bud registrierte. Das Handschuhfach stand offen. Es war leer. Jeder wußte, daß Biff dort eine 45er aufbewahrt hatte. Die Schlüssel des Caddys lagen auf dem Sitz, doch Bud rührte sie nicht an.
Sacht schloß er die Tür. Tiefer Stolz erfüllte ihn. Nur Stunden, nachdem die Leiche entdeckt worden war, konnte er schon einen wichtigen Hinweis liefern. Leichtfüßig lief er zu seinem Streifenwagen, um über Funk Mitteilung zu machen.
Zehntes Kapitel
Clare wußte nicht, was sie eigentlich geweckt hatte. Keine flüchtige Erinnerung an einen Alptraum plagte sie, keine Nachwirkungen, keine Angst, keine Panik. Und doch war sie aus dem Tiefschlaf hochgeschreckt und sofort hellwach gewesen. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte. In der Stille
hörte sie nichts außer ihrem rasenden Herzschlag und dem Rauschen ihres Blutes.
Langsam schob sie das Oberteil des Schlafsacks weg. Trotz der Wärme, die sich im Inneren angestaut hatte, fühlten sich ihre Beine eiskalt an. Zitternd langte sie nach ihrer Jogginghose, die sie ausgezogen hatte, ehe sie in den Schlafsack gekrabbelt war.
Ihr fiel auf, daß sie im Schlaf die Zähne zusammengebissen und den Kopf zur Seite geneigt hatte. Lauschend. Doch auf was? Sie war in diesem Haus aufgewachsen und kannte die nächtlichen Geräusche, das Knarren und Stöhnen viel zu gut, um sich davon ins Bockshorn jagen zu lassen. Dennoch blieb die Gänsehaut auf ihren Armen, und sie spitzte unwillkürlich die Ohren.
Voller Unbehagen schlich sie zur Türschwelle und blickte in die dunkle Diele. Nichts. Natürlich war da nichts. Trotzdem knipste sie das Licht an, ehe sie sich heftig die Arme rieb.
Die Helligkeit, die den Raum hinter ihr durchflutete, brachte ihr erst recht zu Bewußtsein, daß es mitten in der Nacht war und sie sich hellwach und alleine in einem leeren Haus befand.
»Was ich brauche, ist ein richtiges Bett.«
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