Dunkle Küsse: Ein Vampirthriller (German Edition)
Geschwindigkeit weiter, bis wir meilenweit vom Saloon entfernt sind. Wir stoßen auf keinerlei Hindernisse. Die Hexen haben wohl nicht damit gerechnet, dass sich jemand aus dem Herzen der Wüste nähern könnte. Was genau nähern wir uns eigentlich? Ich weiß es immer noch nicht.
Lichter erscheinen am Horizont. Und jetzt höre ich auch andere Geräusche, Verkehrslärm, das Heulen startender und landender Flugzeuge. Wir nähern uns dem Flughafen von Tijuana, aber von der Wüstenseite her. Die Lichter der Stadt breiten sich dahinter aus. Wollen wir etwa in die Stadt? Würde die Hexe tatsächlich versuchen, ihre Magie mitten in einer Großstadt zu wirken?
Frey läuft schnurstracks weiter auf den Flughafen zu. Als wir nur noch einen knappen Kilometer entfernt sind, biegt er ab und hält auf ein Industriegebiet zu. Oder etwas, das man in Mexiko als Industriegebiet betrachten würde. Es ist eher eine Schutthalde, übersät mit Schrottplätzen, LKW-Parkplätzen und kleinen Lagerhäusern und Werkstätten. Alles wird grell erleuchtet, wenn sich ein Flugzeug auf der Startbahn nähert, um dann in Dunkelheit zu versinken, wenn die Maschine darüber hinweggeflogen ist. Ich komme mir vor wie in einer Zeitschleife stark beschleunigter Sonnenauf-und Untergänge, die noch unheimlicher wirkt, weil ich hier keinerlei menschliches Leben erspüren kann. Große Lastwagen und kleine Traktoren lauern wie geduckte Tiere in der Dunkelheit. Ein Hund bellt in einem der Gebäude, doch es klingt eher wie ein einsames Heulen denn wie eine Warnung. Die Umgebung fühlt sich vollkommen leer an.
Frey trottet zu einem der Lagerhäuser. Er blickt zu mir auf und starrt dann wieder die Tür an.
Man braucht kein Genie zu sein, um zu verstehen, was er will. Aber bevor ich diese Tür öffne, lege ich ein Ohr daran. Ich möchte nicht von einem Empfangskomitee überrascht werden. Ich höre nichts. Keine Bewegung, keinen Laut.
Die Tür hat einen altmodischen Riegel, der sich bei meiner Berührung leicht heben lässt. Kein Schloss. Ich rechne halb damit, dass eine Sirene oder ein Alarm losschrillt, während ich die Holztür sacht einen Zentimeter weit öffne. Als nichts passiert, ziehe ich sie so weit auf, dass Frey und ich uns nach drinnen schieben können.
Sobald ich die Schwelle überschreite, trifft mich eine Woge von Angst, so greifbar und schmerzhaft, als hätte jemand auf mich geschossen. Sie schleudert mich zurück, atemlos, zitternd und wie betäubt werde ich von unsichtbaren Händen gegen die Wand gedrückt. Die Essenz von allem, das mir je Angst gemacht hat, nimmt feste Formen an und hängt vor mir in der Luft, bereit zum Angriff. Donaldson ist da, der Vampir, der mich verwandelt hat, und Avery. Fisher, grinsend und blutverschmiert, streckt die Hände aus, um mich an sich zu ziehen. Ich spüre, wie seine Klauen sich in meine Arme bohren und seine gefletschten Zähne nach meinem Hals schnappen. Mein Blut ergießt sich über seine Hände.
Diese Alpträume fügen mir reale Schmerzen zu.
Ich kann mich nicht rühren. Der rationale Teil meines Gehirns weiß, dass das hier nicht wirklich ist. Donaldson, Avery und Fisher sind weg. Ich habe selbst gesehen, wie Donaldson und Avery sich in Staub aufgelöst haben, und ich habe den letzten Schauer gespürt, als ich Fisher das Leben ausgesogen habe. Das hier ist nicht real. Dennoch kreischt der instinktive Teil meines Gehirns mir zu, ich müsse fliehen. Raus hier, bevor es zu spät ist. Mein Körper spannt sich zur Flucht. Mir bleibt keine andere Wahl. Wenn ich überleben will, muss ich diesen Ort verlassen. Und ich darf nie zurückkehren, wenn ich weiterleben will.
»Anna. Wo bist du?«
Eine Stimme ruft aus der schwarzen Leere nach mir. Sie ist weit weg. Zu weit weg, um mir zu helfen. Fisher und Avery rücken vor. Avery lächelt. Seine Hände streichen über meinen Hals und meine Brüste. Ich bin nackt, und da, wo er mich berührt, färbt sich meine Haut schwarz und fault ab. Ich versuche, mich ihm zu entziehen, aber es geht nicht. Die Tür der Lagerhalle öffnet sich. Ein Licht scheint herein. Raus. Ich muss hier raus. Draußen werde ich in Sicherheit sein.
Meine Füße reißen sich los. Schreiend wirbele ich herum, nur fort von diesem Alptraum. Lauf. Schnell.
Eine Hand zerrt mich zurück.
Nein.
Eine Stimme. »Anna.«
Immer wieder. Vertraut. Besänftigend.
Aber sie kann mich nicht retten. Wenn ich nicht sofort hier herauskomme, werde ich sterben. Avery sagt mir das. Und Fisher und Donaldson.
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