Dunkle Schatten (German Edition)
der Jeansjacke spüren seine Finger einen kleinen Gegenstand auf
und fördern ihn zutage.
»Wo hast du diesen Ring her?«
Keine Antwort.
»Hast du den Ring gefladdert 21 ? Gib’s zu, wir kriegen
es doch raus.«
Der Junge bleibt stumm.
Pressling hält den Ring gegen das Licht, auch seine Kollegen kommen
näher, um das Schmuckstück zu beäugen, ohne jedoch den Junkie unbeaufsichtigt
zu lassen.
»Zeig mal her«, sagt einer von Presslings Kollegen und nimmt ihn in die
Hand, »da steht eine Gravur. Kyrillische Schrift, wenn ich das genauer
betrachte. Und ein Datum. 27.3.2009.«
»Hast du den bei einer Osthure mitgehen lassen?«, bohrt Pressling weiter.
Kopfschütteln.
»Was dann? Woher hast du diesen Ring?«
»Gefunden«, lautet die Antwort aus dem Mund mit den verfaulten Zähnen.
»Gefunden? Aha … Und wo?«
»Auf der Straße.«
»Wo?«
»Weiß ich nicht mehr.«
Pressling wird von einem Kollegen beiseite genommen. »Meine Augen sind
zwar nicht mehr die besten, aber schau dir doch mal diese kleinen Spritzer an.
Das sieht mir nicht wie normaler Dreck aus.«
»Was dann?«
»Könnte Blut sein. Schwer, hier zu identifizieren. Der Ring ist
jedenfalls echt. Nicht aus dem Kaugummiautomaten. Das ist Weißgold und der
Stein ein Rubin. Meine Frau arbeitet bei einem Juwelier.«
Pressling wendet sich wieder an den Junkie. »Und du behauptest, du hast
den Ring auf der Straße gefunden. Noch einmal, wo?«
»Ich erinnere mich nicht mehr.«
»Wann?«
»Heute. Irgendwann am Vormittag, was weiß ich?«
»Dann sollten wir den Typ einziehen«, raunt ein weiterer Kollege
Pressling ins Ohr.
»Ach, scheiß drauf«, resigniert Pressling, »sieh dir den doch an. Der ist
total fertig, der hat keine krumme Tour gemacht. Dazu ist der nicht mehr fähig.
Ich glaube ihm sogar. Das gibt nur wieder unnötigen Schreibkram. Den Ring
nehmen wir mit.« Dann richtet er das Wort wieder an den Junkie. »Und du
schleichst dich. Dich will ich heute hier nicht mehr sehen. Platzverbot. Hast
du das kapiert? Und geh endlich in Therapie, dass du von dem Scheißzeug
runterkommst, sonst erlebst du Weihnachten nicht mehr.«
»Und mein Ring? Schließlich habe ich den gefunden. Der gehört mir.« Der
Junkie sieht seine letzte Chance, auf die Schnelle an Heroin zu kommen,
dahinschwinden.
»Sei froh, dass wir dich laufen lassen. Oder sollen wir dich tatsächlich
festnehmen? Das ist nämlich Fundverheimlichung, Bester. Und jetzt verzieh dich
endlich.«
Pressling verzichtet auf die Feststellung der Personalien, schließlich
ist der Junge seit Jahren amtsbekannt. Auch von den offenen Verwaltungsstrafen
weiß er, doch wenn er ihn in eine Zelle stecken lässt, was würde es bringen?
Nichts. Einem Nackten kann man nichts mehr wegnehmen, und die Gefängnisse sind
ohnehin überfüllt. Was der Junge viel eher braucht, ist eine Therapie, als der
Staat die paar lumpigen ausstehenden Hunderter.
*
Nachdem der ehemalige Chefinspektor Thomas Petranko ein paar belanglose
Worte mit dem Torposten gewechselt hat, sucht er zuerst die Kantine im BKA auf.
Er war Kriminalbeamter mit Leib und Seele, hätte sich auch einen würdigeren
Abschied gewünscht und auf jeden Fall verdient. Leider wurde er während seines
letzten Falls im Zuge der Ermittlungen sehr schwer verletzt, als er von einem
Täter niedergestochen worden war.
Im Krankenhaus hatte er genügend Zeit, darüber nachzudenken, ob er nach
seiner vollständigen Genesung wieder in den Dienst zurückkehren oder sich in
den frühzeitigen Ruhestand, auch aus familiären Gründen, versetzen lassen soll.
Es gibt immer wiederkehrende Zeiten, in denen er diesen Schritt insgeheim
bereut, obwohl er sich nicht zu jenen pensionierten Bullen zählt, die in der
Rente nur von der Vergangenheit leben und nicht fähig sind, sich anderweitig zu
beschäftigen.
Ab und zu lässt er sich zu einem Plausch mit den alten Kollegen im BKA
blicken. Das letzte Mal war er vor ein paar Monaten hier. Solche Besuche in der
alten Arbeitsstelle sind immer ein Gradmesser für die persönliche Beliebtheit
und Balsam für seine Seele.
Petranko war sehr erfolgreich und sorgte für Neider, was bei seinem
sporadischen Aufkreuzen jedes Mal deutlich wird. Nach dem Motto, was will der
alte Trottel schon wieder hier? Glaubt er, ohne ihn bringen wir nichts weiter?
Andere freuen sich ehrlich, wenn sie Petranko wiedersehen, und das sind
genau jene Kollegen, mit denen er gerne zusammengearbeitet hatte.
Natürlich rennt bei diesen informellen
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