Dunkle Schwinge Bd. 2 - Der dunkle Pfad
kristallinen Bilder mit denen ihrer mentalen Verbindung mit Ch’k’te und Th’an’ya verglich, dann war das, als würde sie das Werk eines meisterlichen Künstlers der Arbeit eines begabten, aber unerfahrenen Kindes gegenüberstellen.
Sie vermutete, dass dieses Bild einer Erinnerung entstammte. Doch selbst unter dieser Annahme zeigte die Detailfülle der Szene – von den scharf hervortretenden Steinen der Brüstung über die sorgfältig definierten Winkel der fernen Gipfel bis hin zum Muster auf jeder der Kacheln zu ihren Füßen – ein handwerkliches Geschick, das schon fast unvorstellbar war.
Erst da wurde ihr bewusst, dass sie allein war.
Angst ergriff von ihr Besitz, und instinktiv griff sie nach der Waffe an ihrem Gürtel.
»Was ist denn das?«, wunderte sie sich. Ihre Stimme löste ein sonderbares Echo aus. Sie betrachtete die Schärpe, die sie um ihr Gewand geschlungen hatte, und stellte fest, dass sie das Heft eines kunstvoll gearbeiteten Schwerts in der Hand hatte. Doch sie sah nicht nur die Klinge, die ohne Scheide unter ihre Schärpe geschoben war, sie fühlte auch, wie sie pulsierte, als würde sie leben.
Ein chya – an ihrem Gürtel?
Sie ging bis zur Brüstung auf einer Seite des Ausgucks und spähte in die Tiefe. Der Fels fiel dort steil ab, und über hunderte von Metern ragten schroffe Spitzen aus dem Gestein hervor.
»Ich nehme an, dass ich hier wohl festsitzen werde, solange das Ganze dauert«, sagte sie zu sich selbst.
»Wie schade, so ganz ohne Flügel zu sein«, meldete sich hinter ihr eine Zor-Stimme. Sie wirbelte herum, die Hand weiter um das Heft des chya gelegt.
Ein Zor stand in dem Kreis, die Flügel sorgfältig ausgerichtet. Nach seiner Haltung zu urteilen, musste er eben erst gelandet sein.
»Sie müssen zurückbleiben, während die anderen das Wachritual vollziehen. Es wäre aber auch zu schwierig für eine naZora’e, daran teilzunehmen, so ganz ohne Flügel.« Der Zor betrachtete in einer fast menschlichen Geste interessiert seine Krallen. »Wirklich schade.«
Sie erwiderte nichts. Verdammt, wo ist der Hohe Kämmerer?, wunderte sie sich. Und was habe ich hier verloren?
»So typisch menschlich«, sagte der Zor, ohne sie anzusehen. »Von der militärischen Sorte, würde ich sagen: der Ehre verpflichtet, zum sofortigen Eingreifen bereit, ohne auch nur im Ansatz über die Konsequenzen des eigenen Handelns nachzudenken. Ist das Ihr erster Besuch im Sanktuarium? Vielleicht sogar Ihre erste Geistverbindung, kleine naZora’e?«
»Wer will das wissen?«
»Angriff und Nachstoß. Exzellent. Ich kann keine Spur von Angst entdecken. Wirklich beeindruckend.«
»Oh, Gefühle können Sie auch lesen? Na, dann lesen Sie doch mal das.« Aus einem Impuls heraus schleuderte sie ihm Zorn und Widerwillen entgegen. Sie war es leid, ständig in die Irre geführt und in Verwirrung gestürzt zu werden. Sie hatte genug von Mysterien und Halbwahrheiten …
Der mysteriöse Zor wich zurück, als hätte sie ihn geschlagen. Feuer loderte in seinen Augen. Jackie folgte weiter ihren Instinkten, zog das chya und hielt die Klinge vor sich …
Plötzlich hielt ihr Gegenüber ebenfalls eine Waffe in der Hand, die auf sie gerichtet war. Ihr chya knurrte, und ihr Magen verkrampfte sich. Etwas stimmte nicht mit diesem Zor und seiner Klinge, die unangenehm leuchtete.
Dies war kein gewöhnlicher Gegner. Welche Bedeutung ihre Geste gehabt haben mochte – nun stand sie in der ›en Garde‹-Haltung eines Fechters da.
»Qu ’ M «, sagte der Zor, der seine Klinge in der Sixt-Stellung hielt. »Sieh an, mein feiner Freund. Du wählst die Tarnung als eine naZora’e und das Schlachtfeld des Sanktuariums, um die alte Herausforderung auszusprechen.« Blitzschnell griff er an, doch sie konnte ihm ausweichen, zumal sie nicht riskieren wollte, dass ihre Klinge seine berührte. In gebückter Haltung trat sie auf das Mosaik.
»Du bist klug, doch so wie die h’r’kka wählst du manchmal eine Tarnung, die für dich hinderlich ist.« Erneut attackierte der Zor, abermals wich sie aus, brachte aber ihre Klinge näher an ihren Körper, indem sie den Ellbogen anlegte. Dabei näherte sie sich dem Mittelpunkt des Musters …
Im nächsten Moment war sie von nebelartigen, halbätherischen Abbildern ihres Selbst umgeben, die allesamt ihre Bewegungen nachahmten. Ringsum waren es fast ein Dutzend, die jeden Schritt und jede Geste mit dem Schwert kopierten, als würden sie einen perfekt einstudierten Tanz
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