Dunkle Seelen
je davon überzeugt war, dass sie auf dem Weg zu einem Rendezvous mit Jake war. Der Große Basar? Die Argentinierin schien Beyazit mit diesem Ziel zu durchqueren. Und trotz all ihrer Bemerkungen darüber, dass der Basar eine Touristenfalle sei, wäre er der ideale Ort für ein geheimes Treffen.
Ja. Cassie bahnte sich ihren Weg zwischen Schmuckständen und Köfte-Verkäufern hindurch. Sie sah gerade noch, wie Isabella durch einen der südlichen Eingänge verschwand. Eilig lief sie hinter ihr her. Im Durcheinander des Basars hatte sie keine Angst mehr, entdeckt zu werden. Sie würde in der Nähe ihrer Beute bleiben können, bis diese ihr Rendezvous erreicht hatte.
Doch wie unangenehm überrascht war sie, als Isabella schnell durch die gepflasterten Gassen lief, sämtliche Geschäfte ignorierte und das Gebäude durch den westlichen Eingang wieder verließ.
Als Isabella stehen blieb, um ihr Handy herauszuholen, fluchte Cassie leise und wandte sich rasch einem Straßenverkäufer zu, der geröstete Maiskolben verkaufte. Einen Herzschlag später setzte Isabella ihren Weg fort. Cassie nahm ihre Verfolgung wieder auf, kam sich aber zunehmend dämlich dabei vor.
Doch Isabella hatte ihr Ziel fast erreicht. Sie lief nur noch bis zu den schattigen Bäumen und Baldachinen des Bücherbasars. Hier schien sie zu zögern, dann orientierte sie sich neu und eilte eine gepflasterte Gasse hinunter, an der dicht an dicht Bücherstände standen. Nach einer Weile blieb sie stehen und sprach entschlossen einen der Standbesitzer an.
Cassie duckte sich hinter einen anderen kleinen Laden und verbarg sich halb hinter einem Ständer mit Landkarten und Pamphleten.Was war bloß los? Von Jake war keine Spur zu sehen. Aber Isabella reichte dem Buchverkäufer einen Umschlag, und er öffnete ihn, um den Inhalt durchzublättern.
Scheine. Geld. Davon war Cassie überzeugt.
Der Buchverkäufer griff unter seine Theke und zog etwas hervor. Während er es Isabella reichte, reckte Cas- sie sich gefährlich weit aus ihrem Versteck vor, um einen Blick darauf zu erhaschen. Aber es war zu klein und zu weit entfernt. Als Isabella lächelte und sich abrupt umdrehte, wich Cassie wieder hinter den Ständer zurück. Sie hielt den Atem an und tat so, als sei sie in eine antike Karte der Türkei versunken.
Ihre ehemalige Mitbewohnerin kehrte entschlossen auf dem gleichen Weg zurück, auf dem sie gekommen war. Sie kam ziemlich dicht an Cassie vorbei, schaute jedoch - dem Himmel sei Dank — nicht nach rechts. Cassies hämmernder Herzschlag beruhigte sich langsam wieder und sie holte einige Male tief Luft. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass sie Augenzeugin von Isabellas Rendezvous gewesen war und dass es nun vorbei war.
Doch was für eine Art Rendezvous war das gewesen? Langsam folgte Cassie Isabella zurück durch den Großen Basar, diesmal mit mehr Abstand. Das Mädchen hatte es jetzt weniger eilig, schaute sich geruhsam Schals, Kelims und Broschen an und kaufte sich eine kleine Tüte Pistazien. Dann feilschte sie um ein schmales Goldarmband. Trotzdem war sie zweifellos auf dem Rückweg zum Pier und zum Boot. Als sie schließlich in die Gasse einbog, die zum Wasser führte, gab Cassie die Jagd auf.
Diesmal schien es keinen Sinn zu machen, das Riskio einzugehen, auf demselben Boot wie Isabella überzu-setzen und ertappt zu werden. Sie würde auf das nächste warten. Auf keinen Fall wollte sie ihr Glück weiter auf die Probe stellen. Während sie in der schmalen Gasse an einer alten Steinmauer lehnte, fragte sie sich, was um alles in der Welt sie als Nächstes tun sollte. Bis die Fähre wieder von der Akademie zurückkehrte, hatte sie noch ein Weilchen Zeit totzuschlagen.
Welchen Sinn hatte dieser Ausflug gehabt? Sie hatte gedacht, sie sei irgendetwas auf der Spur. Sie hatte gehofft, zumindest eins der elenden Rätsel lösen zu können, die sie quälten. Aber es war reine Zeitverschwendung gewesen. Zudem hatte sie die Hälfte der Energie, die sie Perry entzogen hatte, aufgebraucht. Sie hatte ihre Chance vertan, sich mit Isabella zu versöhnen. Stattdessen hatte sie ihr wie ein Dieb nachspioniert. Und Jake hatte sie auch nicht gefunden, sodass sie der Frage, wo Ranjit war, keinen Schritt näher gekommen war. Oder der Frage, was ihm zugestoßen war. Adrenalin tropfte aus ihr heraus wie Wasser aus einem Schwamm. Sie fühlte sich leer, schwach und unglücklich.
Vielleicht wusste sie deshalb ganz plötzlich, dass jemand den Spieß umgedreht hatte.
Wir werden
Weitere Kostenlose Bücher