Dunkle Sehnsucht
Schlacht hieß es töten oder getötet werden, und das Adrenalin wirkte wie Morphin. Jetzt allerdings hatte ich Schmerzen wie ein Gaul. Aber Vlad hatte recht. Das und der Frust darüber, nicht zurückschlagen zu dürfen, machten mich wütend. So hatte ich auch früher schon meine geborgten Fähigkeiten wachkitzeln können.
»Wenn das schon alles war, was du draufhast, muss es wohl reichen«, sagte ich, um ihn aufzustacheln. Er musste mich schon kräftiger in die Mangel nehmen, wenn er mich richtig zum Kochen bringen wollte. »Nur dass du's weißt: Bones schlägt sehr viel härter zu als du.«
Vlad stieß ein bellendes Lachen aus, bevor sein nächster Hieb mich gegen einen Baumstamm und dann zu Boden schleuderte. Jetzt taten mir Vorder- und Rückseite weh.
Stinksauer wurde ich auch allmählich, aber von den Restwesen fehlte noch immer jede Spur. Entweder war meine Taktik verkehrt, oder ich musste noch viel wütender werden, und zwar schnell.
Ich schüttelte mich, sprang auf und sah, dass Vlad sich mir sehr viel langsamer näherte als bei einem echten Spar-ringskampf.
»Schon besser, aber hör auf zuzuschlagen wie ein Mädchen«, sagte ich. »Lass alles raus. Klopp mich bloß nicht gegen einen von den Grabsteinen. Ist ein hübscher Friedhof.
Sie zu beschädigen wäre taktlos.«
Vlad stieß einen Laut aus, der wie ein Seufzer klang. »Du hast es so gewollt.«
Ich kämpfte gegen den instinktiven Drang an, mich zu verteidigen, als er ausholte. Ich versuchte gar nicht, mich auf Vlads Schlag vorzubereiten, während ich mir dachte, wie gut es war, dass Bones uns jetzt nicht sehen konnte. Der wäre definitiv fuchsteufelswild geworden.
Doch alle Überlegungen waren vergessen, als Vlads Faust meinen Schädel traf. Vor meinen Augen flimmerte es, dann folgten sengender Schmerz und Schwärze. Als ich wieder sehen konnte, war ich ein wenig erstaunt darüber, nicht als Erstes kleine blaue Vögelchen zu erblicken, die über mir ihre Kreise zogen.
»Noch mal«, wies ich ihn an und fragte mich, ob ich vielleicht doch noch kotzen konnte. Dem Pochen in meinem Schädel nach zu urteilen, lag das durchaus im Bereich des Möglichen.
Der nächste Schlag traf mich am Kiefer. Meine Zähne schlugen so heftig aneinander, dass ich überrascht war, sie noch heil vorzufinden. Blut tropfte mir aus dem Mund. Vlad sah es und zuckte nur leichthin mit den Schultern, woraufhin ich ihm am liebsten eine gesemmelt hätte, während er die Faust auch schon zu seinem nächsten Schlag erhob.
Der mich nicht mehr traf. Eis schien mir durch die Adern zu strömen, als ein Schild aus transparenten Leibern sich über mir bildete und Vlads Schlag abfing, als bestünde er aus massivem Diamant statt zartem Nebel. Vlad starrte mich mit grimmigem Triumph im Blick an, während der Schild aus Restwesen sich zu einem Wall ausdehnte - und dann über ihm kollabierte.
»Gott, es hat geklappt«, stieß Vlad hervor, obwohl bereits sein ganzer Körper unter den Leibern begraben war. »Groß-
artige Waffe. Das sind Schmerzen ... überall.«
Ein Gewirr aus Stimmen umgab mich, manche leise und knurrend, andere so schrill, dass es sich anhörte, als würden Fingernägel über eine Schiefertafel kratzen. Vlad hatte recht; es hatte funktioniert. Jetzt kam der wirklich schwierige Teil. Ich hatte die Restwesen gerufen, nun musste ich sie dazu bringen, von Vlad abzulassen. Durch die Stimmen in meinem Kopf konnte ich mich kaum konzentrieren. Ich musste versuchen, mich mit den gleichen Techniken vor ihnen zu schützen wie vor den menschlichen Gedanken, die ich manchmal aufschnappte. Konzentriere dich auf eine Stimme. Stell dich auf sie ein. Lass alles andere in den Hintergrund treten.
»Vlad, rede«, drängte ich ihn. Es war besser, seine Stimme als Ankerpunkt zu nehmen, als mich in dem myriadenstar-ken Flüsterchor aus den Gräbern zu verlieren. Ich rappelte mich auf und merkte erst da, dass Vlad mich mit seinem letzten Schlag doch noch zu Boden geschickt hatte.
»Bin gerade ... etwas beschäftigt«, hörte ich ihn über das Getöse hinweg sagen.
»Ich brauche deine Stimme«, beharrte ich, krampfartig zitternd. Mir war so kalt. Ich war so müde. So hungrig .
»Feel it coming ... in the air«, krächzte Vlad in heiserem Singsang. »Hear the screams from everywhere ...«
Er musste noch ein bisschen weiter zitieren, bis ich glaubte, mich wieder einigermaßen im Griff zu haben - und Überraschung darüber empfinden konnte, dass Vlad den Text von Run This Town Tonight kannte.
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