Dunkle Sehnsucht
festklam-mern konnte. Ich fand es unglaublich, dass ein Kerl, der den Großteil seines Lebens der Planung eines Völkermordes ge-widmet hatte, angesichts der eigenen Niederlage ein derart rückgratloses Verhalten an den Tag legte. Unwillkürlich musste ich daran denken, wie die letzten Stunden im Leben Hitlers angeblich verlaufen waren. Wie es aussah, waren beide entsetzliche Feiglinge gewesen.
»Diesem Mann seid ihr gefolgt?«, wandte Vlad sich an die übrigen Ghule und drückte damit meine eigene Geringschätzung aus. »Ich an eurer Stelle würde vor Scham Selbst-mord begehen.«
Als Veritas Apollyon ansah, verhärteten sich ihre geradezu lächerlich kindlichen Züge zu einem Ausdruck reinster Verachtung.
»Du glaubst, du würdest Gnade vor mir finden?«
Sie griff sich Apollyons dürftige Haarsträhne, zerrte sie von seiner Glatze und benutzte sie, um ihm den Kopf zu-rückzureißen. Ich hätte fast selbst die Fassung verloren, denn das war nun wirklich grausam von ihr.
»Du hast wiederholt versucht, mein Volk zu vernichten, und bist jetzt der Ansicht, ich würde dich schützen?«, stieß sie fast knurrend hervor.
»Das musst du«, antwortete Apollyon, dessen Stimme beim letzten Wort brach.
Veritas richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter siebenundfünfzig auf, aber ihre Macht war so sengend und ihre Körperhaltung so gebieterisch, dass sie ebenso gut drei Meter groß hätte sein können.
»Malcolm Untare, der du dich selbst Apollyon nennst, für deinen Versuch, andere deiner Art zu Mord und Revolte an-zustacheln, verurteile ich dich hiermit zum Tod.«
Er stieß ein Kreischen aus, das Veritas ignorierte. Sie beugte sich vor, bis ihre Lippen das Ohr des Ghuls streiften, und flüsterte ihm etwas zu, das ich nur hören konnte, weil ich so dicht bei den beiden stand.
»Du elender Wurm. Jeanne d'Arc war meine Freundin.«
Dann versetzte sie ihm einen Fußtritt und wich seinen grabschenden Händen aus, indem sie ein Stück zurücktrat und ihm über die Schulter zurief: »Stirb auf den Knien oder stell dich dem Kampf, den sie dir angeboten hat. Mir soll's egal sein.«
Bei der Erwähnung meiner berühmten Halbblut-Vor-fahrin war mir der Mund offen stehen geblieben, aber ich schloss ihn gleich wieder. Merke: Verdirb es dir nicht mit Veritas. Ihr Hass währt Jahrhunderte.
Als ich jedoch auf den Ghul hinabsah, spürte ich, wie mein Zorn verebbte. So viele Morde gingen auf sein Konto, so viele Jahrhunderte lang hatte er sich von blindem Machtstre-ben leiten lassen, und doch war er zu erbärmlich, als dass ich ihn hätte hassen können. Er war es nicht einmal wert, umgebracht zu werden, aber wenn ich ihn am Leben ließ, würden meine jetzigen und künftigen Feinde es mir nicht als Barm-herzigkeit auslegen. Sie würden es als Schwäche interpretieren, die sie ausnutzen konnten. Mit einer Klarheit, wie sie mir zuvor völlig abgegangen war, begriff ich, warum Bones so mit meinem Vater hatte verfahren müssen und Vlad seine Grausamkeit eher zeigte als seine edleren Charakterzüge.
Es geschah nicht aus sadistischer Genugtuung oder der Lust, Konflikte anzuzetteln. Es sollte sie verhindern.
»Nimm das Schwert«, sagte ich zu Apollyon, jedes Wort betonend. »Oder ich töte dich auf der Stelle.« Veritas hatte ihn bereits im Namen des vampirischen Rats zum Tode ver-urteilt. Wenn ich ihn jetzt verschonte, würde das sein Leben nicht retten. Sie oder ein anderer würde ihn töten.
»Nein«, rief Apollyon beinahe wimmernd. Dann stürzte er los, um davonzulaufen.
Nach wenigen Schritten vertrat ich ihm den Weg, sodass er mit der ganzen Wucht seines stämmigen Körpers in mich hineinrannte. Er hatte nur seine Hände, und ich war nach wie vor mit einem ziemlich langen Schwert bewaffnet.
»Apollyon hat euch zur Revolte angestachelt mit der Behauptung, ich wollte mich in eine Mischung aus Vampir und Ghul verwandeln«, rief ich den Ghulen zu. »Denn jeden, der anders ist, muss man fürchten, nicht wahr?«
Apollyon wollte mich zu Boden reißen, aber die vielen Jahre, die er mir an Alter voraus war, hatte er offensichtlich nicht genutzt, um kämpfen zu lernen - und ich hatte einen verdammt guten Lehrer gehabt. Trotz der Schmerzen in meiner Bauchseite fuhr ich im letzten Augenblick herum und heftete mich an seinen Rücken, während er noch in der Vorwärtsbewegung war. Dann führte ich die Schwertklinge an seinen Hals.
»Wollt ihr wissen, warum ich Fähigkeiten besitze, die andere junge Vampire nicht haben?«, rief
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