Dunkle Sehnsucht
Hasskundgebung teilnehmen wolltest.«
Maries braune Augen sahen in meine, ihr Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Während sie weiter vortrat, huschte ihr Blick über das Friedhofsgelände und die Ghul-Leichen, die es bedeckten. Die noch lebenden Ghule, die eben noch ängstlich zurückgewichen waren, suchten inzwischen ihre Nähe.
»Apollyon ist tot?«, erkundigte sich Marie, deren butter-weiche Stimme keinen Hinweis darauf gab, was in ihrem Kopf vorging.
»Und wie«, antwortete ich, bevor sich Veritas einmischen konnte. »Die meisten seiner Hauptleute ebenfalls.«
Marie stand inzwischen vor den anderen Ghulen; nur ein paar Reihen Grabsteine trennten sie von den Meistervam-piren, die sich Seite an Seite aufgestellt hatten.
»Und was geschieht mit den übrigen?«
Ich sah an ihr vorbei, darauf gefasst, dass sich jeden Augenblick ein brodelnder Wall aus Restwesen in ihrem Rü-
cken bilden würde. Wir waren noch nicht dazugekommen, uns darüber zu einigen, was wir mit den Ghulen machen würden, die sich uns ergeben hatten, aber ich fragte die anderen erst gar nicht, bevor ich antwortete.
»Wir lassen sie frei«, sagte ich.
»Du hast kein Recht, eine solche Entscheidung zu treffen«, zischte Veritas.
»Wie schade.« Maries Stimme schnitt durch die Luft, ihr angenehmer Südstaatenakzent war verschwunden und dem hallenden Tenor der Toten gewichen. »Ginge es nach Cat, hätte ich keinen Grund, euch anzugreifen, um meine Leute zu schützen. Ich will Frieden. Zwingt mich nicht zum Krieg.«
Veritas starrte Marie an. Ihr hübsches, trügerisch jung wirkendes Gesicht war hart. Ich hoffte, dass sie Marie in der Vergangenheit schon einmal begegnet war, und wusste, dass die gruselige Stimme der Voodoo-Königin ein An-zeichen dafür war, dass sie kurz davor stand, uns mit allen möglichen Qualen zu überziehen. Falls nicht, würde ich keine Zeit mehr haben, der Gesetzeshüterin klarzumachen, welch mörderische Biester diese Restwesen waren. Ich konnte höchstens noch selbst welche herbeirufen, denn bei dem dann stattfindenden Blutbad würden wohl eher unsere eigenen Leute dranglauben müssen. Marie hielt in trügerisch lässiger Haltung die Hände vor dem Körper verschränkt, aber mir war klar, dass sie sich dabei die scharfe Spitze ihres Ringes ins Fleisch presste.
Allein Mencheres hätte schnell genug seine eigene Macht einsetzen können, um sie daran zu hindern, mit ihrem Blut die Restwesen anzulocken. Ich sah ihn zwar aus dem Augenwinkel herankommen und stellte erleichtert fest, dass Denise und Kira bei ihm waren, wagte es aber nicht, ihm einen Blick zuzuwerfen, aus Furcht, die Geste könnte Marie zum Äußersten treiben. Und wenn Mencheres Marie erstarren ließ, musste er sie im Grunde gleich umbringen. So etwas würde sie uns niemals einfach durchgehen lassen, erst recht nicht vor Zeugen. Und wenn wir Apollyon, seine Hauptleute und Marie Laveau in einer einzigen Nacht ausschalteten, hatten wir den Krieg selbst provoziert.
»Cat hat kein Recht, derartige Entscheidungen zu treffen«, wiederholte Veritas. Neben mir erstarrte Bones, während ich selbst mich bereits mental darauf vorbereitete, einer Horde durchscheinender Killer entgegenzutreten. »Aber ich schließe mich ihrer Entscheidung an.«
Ich musste mich schwer zusammenreißen, um nicht laut loszujubeln. Bones' Anspannung, die durch unsere Gefühlsverbindung zu mir durchgesickert war, ließ ebenfalls etwas nach, auch wenn seine Körperhaltung weiter Wachsamkeit ausdrückte.
»Sie werden uns versklaven«, rief einer der Ghule erbit-tert, woraufhin die anderen in grimmig zustimmendes Gemurmel ausbrachen.
»Nein, das werden sie nicht«, antwortete Marie, die es schaffte, dabei gleichzeitig streng und beruhigend zu klingen. »Friede bedeutet nicht, dass die Vampire unsere Herrscher sein werden. Dazu sind sie nicht stark genug. So lange ich lebe, wird die Ghul-Nation den Vampiren an Macht immer ebenbürtig sein.«
Ich sah nicht, wie Maries Finger sich bewegten, spürte aber den Peitschenschlag der Macht in der Atmosphäre, bevor die Restwesen hinter ihr erschienen wie eine transparente Armee der Finsternis. Ihre Anzahl war überwältigend, ihre Energie glitt mir in eisigen Wellen über die Haut. Meine Schusswunden waren längst verheilt, sodass eine Stimme in meinem Innern mich bestürmte, mir schnell selbst eine Verletzung beizubringen, wenn ich eine Chance haben wollte, sie abzuwehren. Aber Marie hetzte die Restwesen nicht auf uns. Sie ließ nur immer neue
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