Dunkle Spiegel
geschafft, die Wand von innen einzureißen.”
“Stellt euch diese Situation nur einmal vor. Die Dunkelheit, der immer bedrohlicher werdende Sauerstoffmangel, die Orientierungslosigkeit, ganz zu schweigen von dem Schock - und dann schaffte sie es dennoch, eine Mauer zu durchbrechen! Erstaunlich! Die pure Reaktion aus Verzweiflung und Todesangst, die ihre letzten Kraftreserven freigesetzt hat.” Ramirez schüttelte ungläubig den Kopf.
“Dann schleppte sie sich zunächst zum Fenster.” Agent Newman zeigte auf die zerbrochene Fensterscheibe und die Werkbank. “Mit einem Hammer hat sie die Scheibe eingeschlagen. Sie wird wohl in ihrer Panik und unter demSchockeinfluss wie wild um Hilfe gerufen haben und auch die Hände aus dem Fenster herausgestreckt haben. Vielleicht ging zu diesem Zeitpunkt gerade ein Passant vorbei, jemand der seinen Hund ausführte oder der Zeitungsjunge - wer weiß?! Aber sie hat sich dabei die Arme zerschnitten. Sie wankte dann zur Kellertreppe und stieg nach oben. Hier schien sie die Kraft dann auch langsam verlassen zu haben. Sie ist wohl auf allen Vieren durch das Haus gekrochen in Angst, ihrem Peiniger wieder zu begegnen.”
Agent Newman atmete tief ein und schluckte schwer, bevor er fort fuhr: “Die Telefonkabel waren alle durchtrennt. Sie schaffte es noch ins Vorzimmer, wo sie zusammenbrach. Dann schleppte sie sich mit letzter Kraft zur Haustür, wo sie nur noch schaffte, diese zu öffnen und dann auf der Schwelle liegen blieb. Dort verstarb sie auch an den Folgen des hohen Blutverlustes durch die tiefen Schnittwunden in ihren Armen.”
Für einen Augenblick herrschte fast völlige Stille. Das ganze Haus und mit ihm alle Personen darin schienen die Luft anzuhalten.
“Was für eine grausame Tat! Unglaublich! Zu was ist ein Mensch sonst noch in der Lage, wenn er schon zu solch einer Tat fähig ist! - Und der Täter soll nur auf einen Raubzug ausgewesen sein?” Ramirez sah Agent Newman mehr als nur skeptisch mit empor gezogenen Augenbrauen an.
Der hob nur abwehrend die Hände und lächelte verlegen. “Das wissen Ihre Kollegen noch nicht. Es wurde unendlich viel Mobiliar und Glas nebst Keramik zerstört. Geschirr, edle Gläser, Sammelteller, einige Gemälde. Die Zerstörungswut ist ja nicht zu übersehen. Es fehlt nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen nur ein Gerät, das im Wohnzimmer unter dem Fernseher stand, was an den Staubspuren und den liegen gebliebenen Kabeln zu erkennen war. Das Auto ist wohl auch weg, aber auch der Ehemann ist noch nicht aufgetaucht. Schmuck oder Wertsachen schienen den Mörder nicht interessiert zu haben - die fand ich eben bei meinem Rundgang durch das Haus oben im Schlafzimmer auf dem Boden verteilt. Und da waren wertvolle Stücke dabei. Ich muss zugeben … das alles wirkt äußerst merkwürdig, um es mal gelinde zu formulieren.”
Wieder trat eine Pause ein. Ich verfolgte das Gespräch nur am Rande. Mein Gehirn hatte einen Punkt gefunden, den es als massiv störend registrierte. Ich konnte zwar nicht fest machen, was es war, aber da war definitiv ein Detail, das mir kleine Nadelstiche versetzte.
“Wenn Sie mich fragen,” setzte Newman zögernd an, “dann handelt es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Raubmord. Ich kann Ihnen nicht sagen warum, aber es passt irgendwie noch nicht ganz zusammen.”
“Ist der Täter eingebrochen?” fragte Ramirez, ohne auf Newman einzugehen.
“Nein!” beantwortete ich die Frage.
Ihre erstaunten Blicke wandten sich mir zu. Bis jetzt hatte ich noch kein Wort gesagt, ihnen nur zugehört und den Blick nicht von diesem Steinhaufen abwenden können. Eine Schockwelle nach der anderen war durch meinen Körper gelaufen, seit Newman das Wort eingemauert verwendet hatte. Ich fühlte nach, welche Verzweiflung und Qualen hier in diesem Haus durchlebtworden waren. Doch da war noch etwas anders als nur der reine Schrecken über diese Kaltblütigkeit des Täters.
Ich hatte ein Gefühl. Den Anflug eines Deja-vu – aber warum nur?
“Das ist richtig.” bestätigte Newman. “Es wurden keine Einbruchspuren gefunden, weder an den Fenstern noch an den Türen. Keine eingeschlagenen Scheiben - bis auf dieses Kellerloch. Also absolut unmöglich!”
“Woher weißt du das?” fragte mich Ramirez, indem er mich sachte zur Seite zog. “Oder war das einfach eine Vermutung? Hey, an was denkst du? - Sprich mit mir.”
Ramirez´ Worte drangen zu mir durch und ich wollte auch antworten. Aber ich konnte nicht! Ich konnte den
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