Dunkle Spiegel
hatte. Sie liebte diesen Geschmack.
“Wird ein schöner Tag heute.” sagte sie munter und gut gelaunt.
Er nickte stumm.
“Möchtest du auch einen Teil der Zeitung?”
“Mmmhh…” Sie nickte mit vollem Mund. “Den regionalen Teil - das genügt mir schon. Behalt ruhig deinen Sport-, Politik- und Tratschteil.” meinte sie mit gespielt schnippischem Unterton. Sie lächelte ihn an. Und es wurde ihr warm ums Herz.
Seit elf Jahren waren sie nun schon verheiratet - eine Tatsache, die sie kaum fassen konnte, sooft sie es sich auch in Gedächtnis rief. Die Zeit war an ihr vorbeigerast. An ihnen beiden. Sie hatte ihn als jungen, ambitionierten Mann kennen gelernt, der gerade seine Ausbildung zum Techniker beendet hatte. Heute war er in einer großen Firma zur Behebung von technischen Problemen angestellt, wurde respektiert, von seinen Vorgesetzten geschätzt und verdiente gut.
Sie hatten keine Kinder.
Das war der einzige Wermutstropfen in ihrer ansonsten doch so harmonischen und glücklichen Zeit, die sie miteinander erlebt hatten. Doch es hatte nicht sein sollen. Und auf einem anderen als eines natürlichen Weges wollte sie ein Kind nicht erzwingen. Denn sie glaubte an das Schicksal, das hatte sie schon immer. So hatte sie ja auch ihn in einer Zeit kennen gelernt, in der sie schon fast keine Hoffnung mehr gehabt hatte, überhaupt einen Mann zu finden, der sie so akzeptierte, wie sie war.
Sie und ihre Marotten.
Und von denen hatte sie einige, das wusste sie ganz genau. Sie musste sich auch eingestehen, dass sie es wohl mit sich selbst nicht so lange ausgehalten hätte. Nein, das hätte nicht funktioniert.
Aber er konnte es.
Und dafür bewunderte sie ihn.
Dafür liebte sie ihn.
Er sah kurz hoch und sie lächelte ihn an, während sie auf ihrem Brötchen kaute. Liebevoll lächelte er zurück. “Schon fertig mit dem Regionalteil? - Dann kann ja wirklich nicht viel drinstehen.” meinte er scherzhaft.
Sie schüttelte leicht den Kopf.
“Ich hab noch gar nicht rein gesehen!” Beide lachten leise. Dann vertiefte er sich wieder in den Wirtschaftteil und trank leicht schlürfend seinen Kaffee.
“Tz, tz..” tadelte sie ihn mit einem leichten Kopfschütteln. Ohne den Kopf zu heben sah er unter den Augenbrauen zu ihr. Dann hob er die Tasse noch einmal überdeutlich zum Mund und nahm lautlos einen kleinen Schluck.
“Besser?” fragte er schelmisch.
Sie nickte und grinste. Wie ein kleiner Junge , dachte sie. Leise summend überflog sie die erste Seite des Zeitungsteils. Plötzlich hielt sie inne. Sie kaute nicht mehr. Sie summte nicht mehr. Nur ihre Augen waren groß geworden. Außer dem sachten Rascheln des Papiers trat fast völlige Stille ein.
Er sah zu ihr auf. “Ist etwas, Schatz?”
Wortlos sah sie auf und gab ihm die Seite herüber. Schnell überflog er sie. Dann schüttelte er den Kopf.
“So eine Schweinerei!”
“Wie kann so etwas nur passieren? Das arme Mädchen!”
“Hm?”
“Auf bestialische Art ermordet. Gefesselt. Vergewaltigt. Erdrosselt. Und dass die Presse so genau darüber bescheid weiß, ist doch auch mal wieder bezeichnend! Wer weiß, … vielleicht wissen die von der Presse sogar schon, wer es war - und halten das nur für die Sonntagsausgabe zurück, um ihre Auflage zu erhöhen!” Er sah in ihre grünen, zornig blitzenden Augen.
“Ganz sicher haben die ihn bald.” versicherte er ihr in einem ganz ruhigen und zärtlichen Tonfall. “Bei den heutigen Ermittlungsmethoden kann der sich nicht mehr lange versteckt halten, da bin ich absolut sicher.”
“Na hoffentlich…” meinte sie, wobei deutlich herauszuhören war, dass sie die Zuversicht ihres Mannes nicht ganz teilte.
“Unglaublich. Die haben sogar schon einen Namen für ihn: das Phantom.” Kopfschüttelnd faltete er ordentlich die Seite und legte sie neben sich auf den Boden, bevor er sich wieder in den Wirtschaftsteil vertiefte.
“Ha!” rief sie plötzlich so laut, dass er erschrocken zusammenzuckte. Fragend sah er zu ihr hinüber.
“Sie haben eine Spur!” triumphierte sie. “Laut Polizei befanden sich am Tatort einige handfeste Spuren, die wohl schon bald zur Festnahme des Täters führen könnten… HA! Die kriegen ihn sicher!”
Er nickte stumm und fügte dann hinzu: “Na siehst du, ich hab´s dir ja gesagt. Die sind mit der Technik heute so weit, dass sich ganz andere Möglichkeiten als noch vor einigen Jahren eröffnet haben. - Oh, schon so spät? Ich muss los!” Hastig nahm er noch einen großen
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