Dunkle Spiegel
Also waren sie weggenommen und wieder hingestellt worden - aber nur von jemandem, der genau wusste, dass sie hier oben gestanden haben! Und das Wachs … ich gehe jede Wette ein, dass es sich um das gleiche Wachs wie am Schreibtisch handelt!”
“Bingo! Der Schweinehund muss also jeden Winkel genau gekannt haben. Aber er stolperte über … Staub!” Ramirez schüttelte den Kopf.
“Jemand, der sich gerne Kerzen anzündet - sogar beim Chatten am Computer - der wird auch gerne beim Baden darauf zurückgreifen, zumal wenn die Kerzen direkt im Badezimmer stehen. Also …”
“Also ist sie vermutlich nicht freiwillig baden gegangen.” vollendete er meinen Satz. “Aber warum?”
“Vielleicht als Teil des perversen Spiels, das er sich ausgedacht hat.” Ich sah mich um.
„Vergiss nicht, Ramirez, im Augenblick bewegen wir uns nur in einem Dickicht aus Spekulationen und Vermutungen. Es könnte auch alles ganz, ganz anders sein. Sie könnte natürlich die Kerzenständer zum Chatten aufgestellt und dann wieder auf den Spiegelschrank gestellt haben – und danach erst auf ihren Mörder getroffen sein. Alles nur Spekulationen …“Ich sah aus der Tür heraus auf die Wand. Die Lamellentür wurde von der Badezimmertür verdeckt. Ich ging zu ihr hin.
Folge deiner Eingebung, dachte ich.
Ramirez folgte mir langsam. Ich musste zunächst die Badezimmertür schließen und das Flurlicht anschalten. Dann zog ich die Türen auf.
Auf einer Kleiderstange hingen einige Jacken. Oben auf der Ablage sah ich zwei Mützen, einen Regenschirm, dahinter zwei kleine Kartons, die ich fast übersehen hätte, wenn Ramirez aufgrund seiner Größe sie nicht entdeckt hätte. Wir zogen sie heraus und öffneten die Deckel.
Frauenzeitschriften.
Aber sie wirkten in ihrer Lage etwas gewölbt, als würde etwas darunter liegen.
“Meine Güte!” stieß Ramirez hervor, als ich die Zeitschriften anhob. Ein Lederarmband mit Nieten, eine Augenbinde aus schwarzem Leder, eine kleine Knute, Zeitschriften über Sado-Maso-Künste …
“Das zweite Gesicht!” sagte ich, stellte die Kartons wieder zurück und trat einen Schritt in den Flur. Die Jacken waren nicht sehr hoch. Darunter wäre jede Menge Platz für Schuhe, Stiefel oder ähnliches gewesen.
Eine Regenjacke lag rechts in der Ecke, bedeckte den Boden und einen Teil der rechten Schrankwand.
Aber sie bedeckte noch etwas anderes.
Die Jacke sah platt gedrückt aus!
Ich ging näher, kniete mich auf den Boden und hob die Jacke mit dem Kugelschreiber leicht an.
Schuhe, Stiefel, kreuz und quer…
“Verdammt! Der war hier drin!” rief ich. Ramirez fluchte hinter mir laut.
Also hatte ich mit meiner Vermutung recht gehabt!
Leider!
*** 11 ***
Am nächsten Tag trafen wir uns erst gegen Mittag im Department. In der vergangenen Nacht hatten wir keine Zeit versäumt und gleich wieder unser Team 2 verständigt. Zum zweiten Mal waren sie angerückt und hatten nach unseren Anweisungen alles unter die Lupe genommen, was fast die ganze Nacht gedauert hatte.
Und jetzt lagen uns die Ergebnisse vor. Die Wachsrückstände am Schreibtisch waren eindeutig von der gleichen Kerze, wie wir sie im Bad auf dem Schminkspiegel gefunden hatten. Auf den Ablagen der Badewanne hatte man definitiv keine Wachsrückstände gefunden; es waren aber auch keine beseitigt worden. Aber in den Wachsrückständen an den Kerzenhaltern waren schwache Abdrücke einer Perforation gefunden worden – ähnlich den Spuren, die wir an der Leiche entdeckt hatten und die auch zu dem Stück Leder in ihrem Mund passen würden! Am Kleiderschrank im Schlafzimmer hatte man hingegen keinerlei Spuren von Schweiß oder Fingerabdrücken finden können, weder am Spiegel noch am Holz. Und auch hier gab es keine Rückstände von Reinigungsmittel. Die Faser aus dem Karton stammte tatsächlich von einem der Seidentücher, mit denen Adriana Lion gefesselt worden war.
Auf der Jacke im Flurschrank waren die Abdrücke eines Gesäß zu erkennen gewesen, die aber leider durch die darunter gestapelten Schuhe zu deformiert war, als dass wir die Suche nach dem Arsch , wie es Ramirez so scherzhaft ausgedrückt hatte, hätten in Gang setzen können. Außer einer Faser von einer handelsüblichen, schwarzen Jeans hatte unser Team nichts finden können.
Damit waren wir so weit wie vorher.
Und doch einen kleinen Schritt weiter!
Wir lernten jetzt die ersten Charakterzüge unseres Täters kennen.
Er war ein Freund akribischer Planung und spurlosem Auftreten. Er
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