Dunkle Spiegel
muss, um die Kiste hervor zu holen.”
Wir sahen uns noch einmal die Tür an. Das Holz. Körperflüssigkeiten irgendwelcher Art? Es würde definitiv Rückstände hinterlassen. Aber da war nichts!
Der Spiegel.
Heißer Atem, Feuchtigkeit - vielleicht der Abdruck ihres Körpers, der leicht geschwitzt hatte? - Nein, nichts!
“Ob er das auch gereinigt hat?” fragte mein Freund missmutig.
“Vielleicht. Aber …” ich ließ meine Nase über das Glas und das Holz gleiten, “… man riecht keinerlei Reinigungsmittel. Es sind auch keine Schlieren am Glas zu erkennen, wie wenn er es nur mit Wasser gemacht hätte.”
“O.K. Jetzt anders! Du überwältigst sie, ziehst sie aus, weißt genau, wo die Tücher sind, fesselst sie und … den Rest kennen wir. Zumindest das Ergebnis.”
“Ja … der letzte Teil könnte passen. Aber mir kommt das am Anfang noch etwas merkwürdig vor. Es passt noch nicht ganz. Es passt einfach nicht zu ihr! Sie hat weder ihr Image gewahrt und mit ihm angestoßen, noch ihrer zweiten Seite nachgegeben und sich von ihm schon im Flur ausziehen lassen. Es scheint so, als wäre alles erst hier im Schlafzimmer losgegangen. Aber wie?”
“Das Badezimmer …” murmelte Ramirez und setzte sich auf den kleinen Hocker neben dem Bett. “Im Bericht stand, dass man Rückstände von Badeschaum auf der Tastatur und in der Badewanne gefunden hat. Sie hat also gebadet - freiwillig oder nicht. Die Rückstände auf der Tastatur könnten ja auch von ihr stammen. Sie könnte nach dem Baden gechattet haben. Aber …”
“… die Löschung der Daten zeigt, dass er am Computer war. Und die Rückstände könnten auch von ihm stammen. Was wäre der schlimmste Fall, wenn man sich das alles durch den Kopf gehen lässt?” fragte ich offen in den Raum.
“Der schlimmste Fall? Der Super-GAU? Also: er war schon in der Wohnung, hat sie überwältigt, zum Baden gezwungen, ins Schlafzimmer gebracht, sich anihr vergangen, die Daten gelöscht, alle Spuren beseitigt - auch im Bad und im Wohnzimmer mitsamt den Kerzenständern - und ist verschwunden!” sprach Ramirez aus, was ich mir in Ansätzen bereits zusammengereimt hatte.
Ich sah ihn an. Ich brauchte ihn nicht zu fragen, für wie wahrscheinlich er es selbst hielt; sein Blick sprach Bände.
Wir gingen wieder zurück in den langen Flur. Rechts von uns war die Wohnungstür. Links war die Lamellentür eines Vorratsraums, wie ich es bei unserem ersten Besuch vermutet hatte. Rechts davon das Bad. Mir gegenüber lag die Küche.
Wir gingen ins Bad.
Alles war noch mit Schildern und Nummern versehen gewesen, als ich zum letzten Mal hier drin war. Jetzt war alles weg, katalogisiert und fotografiert. Ich ging zur Wanne und rief mir noch einmal das Bild des Raums bei meinem ersten Betreten ins Gedächtnis.
Die Badewanne …
Dort hatten Schilder der Spurensicherung gestanden.
Aber auch an der Seite? Auf den Ablagen?
“Was suchst du?” fragte mich Ramirez von der Seite. “Moment mal … jetzt weiß ich, was du meinst.”
“Es würde passen, oder nicht?” sagte ich und warf ihm einen bittenden Blick zu. Nochmals verschwand er aus dem Raum, sprach leise in sein Handy und entschuldigte sich abermals mit Nachdruck. Nach zwei Minuten stand er wieder neben mir.
“Keine Wachsspuren!” sagte er ernst. “Die Spurensicherung hat an der Badewanne keinerlei Wachsspuren gefunden.”
“Auf dem Computertisch haben wir Wachsrückstände gefunden … also hat sie es sich hier vielleicht nicht so gemütlich gemacht wie bei Chatten - obwohl sie der Typ dazu wäre, der sich auch beim Baden Kerzen anzünden würde?!”
Ramirez deutete zum Schminkspiegel. Er war etwas überdacht. Drei kleine, darin eingelassene Glühbirnen erzeugten so ein warmes und vorteilhaftes Licht vor dem Spiegel. Und darauf standen …
“Kerzenständer!” murmelte ich. Ich nahm den Hocker, der in der Ecke stand und stellte mich darauf. Die Kerzenständer waren aus Silber, und schon etwas angelaufen. Hartes Wachs klebte an beiden. Die gelben Kerzen waren halb abgebrannt.
“Staub …” murmelte ich.
“Was ist? Sag nur, da oben ist es staubig!” meinte Ramirez verwundert.
“Genau so ist es. Unsere reinliche Lady hat glücklicherweise den Staub hier oben liegengelassen. Und weißt du auch, warum das unser Glück ist? - Der Staub zeigt die beiden runden Ausschnitte, die exakt dem Durchmesser des Fußes der Kerzenständer entspricht. Aber die stehen nicht genau an der unverstaubten Stelle, sondern daneben!
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