Dunkle Spiegel
mir wieder möglich, tief durchzuatmen. Ein zentnerschweres Gewicht war mir scheinbar von der Seele genommen worden.
“Ich passe auf mich auf. Ich verspreche es. Schließlich willst du doch nicht allein an den Strand fahren, oder?”
“Ach, du willst an den Strand? Vielleicht mit Palmen und Schirmchendrinks?” fragte sie, richtete sich halb auf und ein leichtes Lächeln umspielte ihre schönen Lippen.
Ich verdrehte leicht die Augen. “Warum eigentlich nicht? Fänd` ich ganz nett. Du nicht?”
“Ich dachte mehr an eine Hütte irgendwo in den Bergen. An einem stillen See. Nur du und ich. Und zehn Kilometer bis zum nächsten Dorf, wo du mir jeden Morgen Brötchen holen kannst.”
Ich musste einen ziemlich verdutzten Blick aufgesetzt haben, denn sie begann nun herzhaft zu lachen, bevor sie sich im nächsten Moment auf mich warf. Wir lachten beide und wälzten uns auf dem Bett wie Kinder im Gras.
*** 20 ***
Ramirez saß im Garten auf seinem Liegestuhl. Der Wind war kühl, weshalb er sich auch noch eine Weste über seinen Pullover gezogen hatte. Damit fröstelte es ihn zwar immer noch leicht, aber es war ein wunderbares Gefühl, so dazuliegen und die Welt an sich vorüber ziehen zu lassen.
Genüsslich nahm er einen großen Schluck aus seiner Flasche Budweiser, das bei den Temperaturen überhaupt nicht warm zu werden schien. Wie praktisch, dachte er zum dritten oder vierten Mal an diesem Tag.
Einen Meter von sich entfernt hatte er den kleinen Kamin angezündet, den er vor ein paar Jahren selbst gebaut hatte. Aus dem hohen, sich nach oben verjüngenden Schornstein stiegen kleine Rauchwölkchen auf.
Er hatte etwas Fleisch zu Grillen aufgelegt, das nun nur noch kross und knusprig werden musste. Unwillkürlich musste er grinsen. Viele seiner Freunde hatten sich schon oft lautstark darüber gewundert, dass er diese Art des Grillens einem echten Barbeque-Grill wie dem riesigen - und überaus teuren - George-Foreman-Grill vorziehen konnte. Doch er liebte diesen Kamin, nicht eben zuletzt durch den Umstand, dass er Stein für Stein selber gesetzt hatte. Er war weiß getüncht und hatte eine Aussparung am Boden für Holzstücke. Der Innenraum war mit feuerfesten Fliesen verkleidet, und in der gleichen Farbe, einem Feuerrot, hatte er die Kanten mit einer Art Backsteinmuster verschönert.
Der Geruch des Fleisches drang ihm langsam in die Nase und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Ja, für einen kurzen Moment lang fühlte er sich wieder unbeschwert.
“Rico?” hörte er eine leicht rauchige Stimme hinter sich. Er stand rasch von der Liege auf und lächelte der Frau entgegen, die mit anmutigen Schritten auf ihn zukam.
Ruth war eine typische Südstaatenfrau. Stark, unabhängig und stolz. Sie hatte ihm zwei prächtige Kinder geschenkt. Und sie hatte mit ihm dieses Haus gebaut. Stein für Stein. Bis auf den Kamin, den er ganz allein gemauert hatte.
Ihre dunklen Augen ruhten sanft auf ihm.
Er ging zu ihr und küsste sie sachte auf die Wange. Sie war ein gutes Stück kleiner als er, was ihn aber nie auch nur im Geringsten gestört hatte. Was sie an körperlicher Größe vielleicht zu wenig hatte, das wog sie durch ihren starken Charakter wieder mehr als auf. Und dafür liebte er sie.
“Dauert es noch lange?” fragte sie leise.
“Nein, es ist gleich fertig. Deck` doch schon mal den Tisch. Ich bringe gleich alles rein.” antwortete er zärtlich, ohne den Blick von ihr zu wenden.
Sie lächelte. “Die Kinder decken schon den Tisch. Hörst du es nicht?”
Ramirez reckte den Kopf und lauschte. Tatsächlich hörte er jetzt das leise Quieken und Meckern zweier sich ausgelassen neckender und temperamentvoller Kinder. Samantha und Michael hatten beide die besten Eigenschaften ihrer Eltern bekommen. Willensstärke und Humor, Unnachgiebigkeit und Temperament, dafür aber auch eine Ehrlichkeit und emotionale Aufrichtigkeit, die heutzutage selten geworden war. Mit ihren siebenund elf Jahren waren die beiden schon jetzt ihren gleichaltrigen Freunden an Intelligenz, Schlagfertigkeit, Neugier und Wissen ein gutes Stück voraus.
Er war stolz auf sie.
Sie beide waren stolz auf sie.
Ihre kleine Familie. Das war etwas Wunderbares, etwas einzigartiges, da war er sich absolut sicher.
Für einen Augenblick erschien seine kleine Samantha an der Terrassentür. Das Esszimmer dahinter war hell erleuchtet. Sie sah zu ihm herüber, grinste breit und winkte. Er konnte sogar die Zahnlücke erkennen. Stolz hatte sie ihm gestern Abend
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