Dunkle Spiegel
vermuten, dass du Hunger hast. Du hast Hunger auf etwas ganz Spezielles und du weißt selbst nicht genau auf was. Deshalb packst du auch den Wagen so voll mit verschiedenen Sachen. Du fühlst dich ausgelaugt und gehetzt - aber das ist ja auch kein Wunder! Und …” Sie kam ein Stück näher an mein Gesicht heran, “du hast riesige Lust auf etwas … Süßes! Vielleicht Pralinen?”
“Ach, weißt du, im Moment hätte ich da ganz andere süße Sachen im Kopf.” flüsterte ich, griff sie zärtlich an den Hüften, und noch bevor sie sich wehren konnte wirbelte ich sie auf meine rechte Seite, wo sie liegen blieb. Sie jauchzte und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Ich beugte mich über sie, strich ihr über die Wange.
Ich küsste sie. Lang und liebevoll. Ein Gefühl der Zufriedenheit und inneren Verbundenheit erfüllte mich. So als hätte ich etwas lange Vermisstes endlich wiedergefunden.
Einige Minuten lagen wir eng umschlungen da. Nur langsam lösten wir uns wieder voneinander. Ich genoss dieses Gefühl. Am liebsten hätte ich zu ihrgesagt: Komm, unter meiner Decke ist es schön warm. Die Sonne geht unter - lass uns schmusen und dann nicht mehr aufstehen bis morgen Mittag! Und bei diesem Gedanken breitete sich in meinem Bauch dieses wohlig warme und glückserfüllende Gefühl aus.
Doch da kam er wieder, dieser dunkle Schleier der Erinnerung.
Ich schlug die Augen nieder.
“Was hast du?” fragte sie mich zärtlich.
“Du weißt ja, dass … wir heute leider keinen schönen Abend miteinander haben können. Ich genieße so diesen Moment mit dir. Aber ich weiß, dass er gleich wieder vorbei sein wird.”
Fast war ich schon in Versuchung, mich umzudrehen, um ihren traurigen Ausdruck in den Augen nicht sehen zu müssen, den sie sicher gleich bekommen würde. Aber wieder strich sie mir nur behutsam über die Wange.
“Willst du mir erzählen, was du heute nacht tun wirst?” fragte sie, und sie hatte all ihre Vorsicht und Zärtlichkeit, all ihr Verständnis für ein Nein als Antwort sowie auch den Mut, meinen Worten zu lauschen, wenn ich es erzählen würde, in diese Frage gelegt.
Ich zerfloss buchstäblich innerlich. Irgendetwas zerrte in meinem Inneren an meinen Eingeweiden. Etwas wollte befreit werden, sich seinen Weg nach draußen bahnen. Doch der Kampf war nur von kurzer Dauer.
Schon lange hatte ich das Bedürfnis, mich mit jemandem mitzuteilen, all meine Gedanken und Ängste, all meine Gefühle und Befürchtungen einfach bei jemandem raus lassen zu können. Und obwohl ich wusste, dass ich ihr alles hätte sagen können, hatte ich stets gezögert und es immer zurückgehalten. Doch wie lange würde ich das noch können, fragte ich mich. Es war ein Punkt erreicht, sogar eine Grenze in mir überschritten worden, das spürte ich deutlich.
“Möchtest du es denn wirklich hören? Du weißt ja, es ist nicht so, dass ich es dir nicht erzählen möchte … doch, eigentlich ist es genau so … aber nicht, weil ich irgendwie kein Vertrauen zu dir hätte oder sonst irgendwie … “suchte ich hilflos nach einer Erklärung.
Sarah entgegnete nichts, sondern wartete einfach.
Dann sah ich sie direkt an, atmete noch einmal tief Luft, und ließ die Worte heraus, die mir schon so lange auf den Lippen lagen: “Ich … ich habe einfach Angst, dich damit zu erschrecken.”
Aber sie schüttelte nur langsam den Kopf. “Ich sehe doch, wie sehr du innerlich leidest. Wie es dich förmlich auffrisst. Wie du diesen schweren Mühlstein Tag für Tag mit dir herumträgst. Und du gehst jeden Tag ein kleines Stückchen geduckter, weil dieser Stein von Tag zu Tag immer schwerer wird. Wieviel willst du denn noch allein mit dir herumtragen? Und sei dir in einem sicher: ich fürchte mich weniger vor den Dingen, die ich weiß, als vor denen, die ich nur vermute oder mir selbst ausmale! Du weißt, was ich meine?!”
Ich wusste es nur zu genau. Schon oft hatte sie mich gefragt, ob ich ihr nicht etwas erzählen wolle, wenn mich wieder einmal ein Fall zu ersticken drohte. Doch ich hatte diese Angst immer in mir gespürt. Ich wollte sie fern halten von all diesem Monstern und ihren Taten, mit denen ich täglich zu tun hatte. Ichwollte nicht, dass dieses Sonnenschein-Lächeln irgendwann einmal erst verblassen und dann ganz und gar verschwinden würde. Ich hätte mir das niemals verzeihen können.
Aber sie war stark! Und ich musste zugeben, dass sie stärker war, als ich mir selbst oft eingestehen wollte.
Ich atmete noch einmal tief
Weitere Kostenlose Bücher