Dunkle Spiegel
durch. Und dann tat ich zum ersten Mal das, was ich immer so weit von mir geschoben hatte: langsam begann ich ihr von meinem Fall zu berichten.
Ich nannte keine Namen und keine näheren Umstände. Ich erzählte von Adrianna Lion und ihrem grausamen Tod, von der Verbindung über die Chaträume zu den anderen Opfern, von der Tatsache, dass wir eigentlich noch gar keine Ahnung über den Ort hatten, wo wir unseren Täter suchen sollten. Dass wir nicht wussten, welcher gesellschaftlichen Schicht er angehörte, ob er wohlhabend oder durchschnittlich war, ob überaus intelligent und Akademiker oder einfach nur raffiniert und übervorsichtig. Ich erzählte von unseren fehlgeschlagenen Versuchen, ihn mit einer fiktiven Frau anzulocken, von den vielen perversen Angeboten, die wir als Frau von diesen Männern gemacht bekommen hatten - an dieser Stelle musste sie sogar kichern, was die Anspannung für mich fast völlig verpuffen ließ - und ich erzählte ihr von diesem Einen, dem überaus charmanten, vertrauenserweckend wirkenden und teilweise sogar humorvollen Chatter, von dem ich zugeben musste, dass ich mich als Frau hätte tatsächlich um den Finger wickeln lassen, wenn ich zu dieser bestimmten Gruppe von Frauen gehört hätte: Single, mehrere, enttäuschende Beziehungen oder kurze Liebschaften hinter sich, erfüllt von einer geheimen, unstillbaren Sehnsucht nach Zuneigung, Zärtlichkeit und Verständnis und diesem gewissen einen kleinen Geheimnis meiner sexuellen Vorlieben, das ich noch niemandem anvertraut hatte, aber unbedingt realisieren wollte.
“Oho, muss ich eifersüchtig werden?” meinte sie mit einem gespielt ernsten Gesicht, wobei ihr der Schalk in den Augen deutlich an diesem Funkeln anzusehen war.
Sie war so süß.
Dann kam der schwierigste Teil für mich. Ich berichtete von unserem Plan für die heutige Nacht und unserem Versuch, ihn herauszulocken, um ihn endlich festnehmen zu können.
Nachdem ich alles gesagt hatte, beherrschten mich zwei Gefühle: zunächst die Leichtigkeit um mein Herz, als wären schwere Eisenketten abgefallen, die es bis jetzt umschlossen und am freien Schlagen gehindert hätten.
Und dann war da dieser Drang, weiterzuerzählen. Alles. Ich wusste nicht, was ich eigentlich noch erzählen wollte - aber ich wollte nicht diesen Punkt setzen, an dem dann eine Pause entstand, die immer länger wurde, bis jeder Versuch, jedes Vorhaben das Gespräch fortzusetzen in sich zusammenbrach.
Ich sah ihr in die Augen und bemerkte diese stille Sorge in ihrem Blick. Sie war ernst geworden. Ich erkannte aber auch eine gewisse Zuversicht darin - und Stolz.
“Ihr macht es also wie die Großwildjäger.” sagte sie.
“Wie die Großwildjäger ? Wie meinst du das?” fragte ich verdutzt.
“Jäger locken das Tier, das sie jagen wollen, aus ihrem angestammten Terrain heraus und locken es dann an einen Ort, den sie vorher dazu aussuchen. Denn jedes Tier ist auf seinem eigenen Terrain am stärksten!”
Ich ließ mir ihre Worte langsam durch den Kopf gehen. Natürlich hatte sie recht. Wir wollten ihn herauslocken, in eine Falle. An einen Ort, den wir vorbereitet hatten. Wo wir die Stärksten waren. Wo wir die Regeln vorgaben. Ich verfolgte den Gedanken in seiner Schlussfolgerung weiter und meinte:
“Dann bin auch ich ein Tier? Irgendwie?”
Sie nickte leicht. “Ja, irgendwie schon. Auch du hast dein Terrain. Deinen Grund und Boden, wo du dich sicher und unangreifbar fühlst. Wo du dich am stärksten und überlegensten fühlst. Aber: jeder von uns hat sein Terrain, sei dir da mal ganz sicher.”
Es entstand eine kleine Pause. Ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, alles in Einklang zu bringen. Doch es gelang mir einfach nicht.
“Sei vorsichtig heute Nacht! Er scheint gefährlich zu sein und du weißt das. Ich weiß, dass du ihn niemals unterschätzen würdest. Aber er ist so … gerissen. Wie ein Tier!”
“Eine Ratte!” knurrte ich.
“Ja genau, wie eine Ratte. Und er wird sich auch so verhalten! Er wird sich nicht einfach ergeben, dafür hat er schon zu viel von einer Macht und Freiheit gekostet, die ihn zu sehr gestärkt hat. Er wird das nicht einfach wieder aufgeben wollen!”
Ich erinnerte mich deutlich, diesen Hinweis schon einmal gehört zu haben.
Ich küsste sie leicht auf die Stirn und sah ihr in die Augen.
In diesem Augenblick fühlte ich mich unglaublich stark, fast unbesiegbar. Es kribbelte in meinen Adern und ich spürte eine unglaubliche Energie in mir.
Endlich war es
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