Dunkle Symphonie der Liebe
von Kleidung auf, das eine der Skulpturen streifte. Sie wandte sich zu
dem Geräusch um und sog die Luft ein. »Helena! Gott sei Dank! Suchen Sie bitte
sofort Franco. Wir müssen diesem armen Jungen helfen. Er ist von einer
Raubkatze angegriffen worden. Von derselben, die schon einmal getötet hat.«
»Sind Sie sicher, dass es
dieselbe ist, Signorina Scarletti?«
Antonietta öffnete vorsichtig
die Augen und versuchte den Blick auf ihre Haushälterin zu richten. Die Frau
kam langsam auf sie zu. Antonietta konnte nicht einschätzen, wie weit sie
entfernt war. Helenas Körper verzerrte sich und nahm groteske Formen an.
Flecken tauchten vor Antoniettas Augen auf, flogen ihrem Gesicht entgegen.
Farben schimmerten, Schattierungen von Rot und Gelb. Dazu ein dunkles Blau. Sie
bohrte ihre Fingernägel in ihre Handfläche und zwang sich, den Blick weiter auf
Helena zu richten. »Ich bezweifle, dass es zwei Katzen gibt, Helena. Holen Sie
bitte Franco. Wir müssen das Leben dieses armen Jungen retten.«
Helena ging einfach weiter,
jetzt mit schnelleren Schritten. Ihr Gesicht wurde länger, bis sie eine
Schnauze zu haben schien, und ihr Körper verformte und duckte sich, bis sie auf
allen vieren lief.
Antonietta wartete, um den
Sprung der Katze abzuwarten und sich dann, indem sie ihre neuen Fähigkeiten
nutzte, im letzten Moment vom Boden abzustoßen, über den Jaguar hinwegzusetzen
und am Rand der breiten Brüstung zu landen. Der Jaguar knurrte und nahm wieder
eine halb menschliche Gestalt an. Helena beugte sich über Josef, ohne den Blick
von Antonietta zu wenden. Hass funkelte in ihren Augen.
»Warum tun Sie das, Helena?«,
fragte Antonietta mit sanfter Stimme. Der Wind peitschte auf sie beide ein,
sträubte das Fell der großen Katze und ließ Strähnen aus Antoniettas Zopf um
ihr Gesicht wehen.
»Signorina Scarletti.« Helena
spie die Worte förmlich aus. »Wie ich diesen Namen hasse! Und Ihre kostbare
Familie. Es hätte meine Familie sein sollen. Ich gehöre dazu, aber keiner von
euch wollte es sehen. Ich war da, direkt vor euren Augen, aber ihr wolltet es einfach
nicht sehen.«
Antonietta bemühte sich, etwas
zu erkennen. Helena, die vor Zorn und Hass leise grollte, verlagerte ihr
Gewicht. Eine krallenbewehrte Hand griff nach Josef, um ihn über die Mauerwehr
zu stoßen. Antonietta wartete nicht länger, sondern stieß sich von der Brüstung
ab und trat mit aller Kraft in Helenas erschrockenes Gesicht. Ihr Schwung riss
sie mit und an ihrer Haushälterin vorbei. Sie duckte sich, rollte sich herum
und war wieder auf den Beinen, selbst erstaunt, wie geschmeidig ihre Bewegungen
waren. Ohne zu zögern, sprang sie zu Josef zurück, versetzte Helena noch einen
Tritt mitten ins Gesicht und stieß sie von der Brüstung nach unten in die
Tiefe.
Helena nahm im Fallen die
Gestalt des Jaguars an, landete auf allen vieren auf dem weichen Rasen und hob
zähnefletschend den Kopf in Richtung Palazzo. Im nächsten Moment sprang die
Katze auf einen Baum und rannte mit tödlicher Zielsicherheit auf den Ästen zum
Burgwall.
Antonietta zog Josef vom Rand
der Mauerwehr, hob ihn hoch und barg seinen bleischweren Körper an ihrem, als
wäre er ein Baby. Als der Jaguar den Balkon im ersten Stock erreichte, sprang
Antonietta nach unten und landete geduckt im Schatten des Palazzos. Im Schutz
des dichten Nebels lief sie zum Garten. Sie wusste, wie viele Sehritte es
waren, und zählte mit, während sie mit geschlossenen Augen über den Hof rannte.
»Toni? Bist du da? Wo ist
Nonno?«, rief Tasha von der Terrasse, die auf den Innenhof führte. »Was sagst
du zu diesem Nebel? Es sollte doch eine klare Nacht werden.«
»Tasha, schnell, komm her«,
sagte Antonietta leise. Ihre Stimme klang in den wirbelnden Nebelschwaden
seltsam erstickt. Sie legte Josef auf ein Beet, ohne sich darum zu kümmern,
dass die geliebten Blumen ihres Großvaters zerdrückt wurden. Ihr blieben nur wenige
Minuten, um zu tun, was getan werden musste. Sie schaufelte sich schwere Erde
in die Hände, vermischte sie mit ihrem Speichel und verteilte das Ganze
sorgfältig auf Josefs Wunden.
Tasha tauchte aus dem
unheimlichen Nebel neben ihnen auf. »Was um alles in der Welt machst du denn
da, Toni?« Sie kauerte sich neben ihre Cousine. Als sie durch die Dunstschleier
dunkles, geronnenes Blut schimmern sah, schlug sie sich eine Hand vor den Mund.
»Um Gottes willen, bist du verrückt geworden? Du bringst ihn doch um, wenn du
schmutzige Erde auf seine offenen Wunden
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