Dunkle Symphonie der Liebe
als er sich über sie beugte. Fühlte seine Hitze. »Du
bist nicht ganz menschlich.« Die Worte entschlüpften ihr, bevor sie sie zurückhalten
konnte. Es war eine Herausforderung. Ein Fehler.
Das Schweigen zog sich in die
Länge. Ihr war klar, dass er bewusst schwieg, ihre Kühnheit damit tadelte. Ihr
dunkler Poet mochte keine Fragen. Der Wind rüttelte an den Buntglasscheiben der
Fenster und heulte unheilverkündend. Antonietta, die von jeher empfänglich für
Schwingungen gewesen war, erschauerte.
Sie krampfte ihre Finger um die
Bettdecke, verzog aber keine Miene. Sie ließ sich durch nichts erschüttern und
beugte sich weder Autorität noch Drohungen. Sie folgte ihren eigenen Gesetzen.
Sollte er doch ein finsteres Gesicht machen!
»Du bist eine Scarletti. Ich bezweifle,
dass auch du ganz menschlich bist. Was bist du?« Seine Finger legten sich an
ihre Kehle und streichelten ihren schnellen Puls.
Seine Berührung verzauberte
sie, machte sie benommen und warf sie völlig aus dem Gleichgewicht, und das
ausgerechnet in einem Moment, in dem sie unbedingt bei klarem Verstand
bleiben sollte. »Na ja, da gibt es diese Geschichte, die uns allen als Kindern
erzählt worden ist«, erwiderte sie und bemühte sich, dabei einen leichten
Tonfall anzuschlagen. Sie wollte glauben, dass der heulende Wind, der mit
solcher Hartnäckigkeit an ihre Fenster peitschte, schuld an ihrer Gänsehaut
war. »Vielleicht möchtest du sie gern hören. In unserem Geheimgang sind einige
Darstellungen in die Wände eingeritzt, und in den Aufzeichnungen unserer
Familie finden sich genug dunkle Andeutungen, um den Eindruck zu erwecken, es
könnte ein Körnchen Wahrheit an der Sache sein.« Sie hoffte, ihn abzulenken.
Hoffte, ihn noch ein bisschen länger bei sich zu halten. Und deshalb gab sie
Dinge preis, die sie lieber für sich behalten sollte.
»Erzähl mir die Geschichte.«
»Darf ich mich aufsetzen?« Ob
er es nur für eine amüsante Gutenachtgeschichte hielt? Und wenn schon!
Seine Hand blieb mit breit
gespreizten Fingern auf ihrer Kehle liegen. Sein Handgelenk ruhte auf dem sanft
gerundeten Ansatz ihrer Brüste. Die Spitze spannte über ihrem Busen, und
Antonietta konnte mit jedem Atemzug, den sie machte, die Wärme seiner Hand
fühlen. Es wurde schwierig, nahezu unmöglich, Luft zu holen.
»Nein. Ich werde dich jetzt küssen.«
Die Worte wurden leise an ihren
Mundwinkel geraunt. Sie spürte seine Wärme und Erregung, das Verkrampfen ihrer
eigenen Muskeln und die tausend Schmetterlinge, die auf einmal in ihrem Magen
flatterten. Der Atem stockte in ihren Lungen, einfach so. Wollte sie wirklich
wie eine der geraubten Sabinerinnen hier liegen und auf seinen Mund warten?
Darauf warten, dass er ihr Herz und ihre Seele im Sturm eroberte? Instinktiv
stemmte sie sich mit beiden Händen an seine Brust. Ihre Handflächen berührten
ihn. Fühlten harte Muskeln. Spürten Hitze.
Es gelang ihr einfach nicht,
ihn von sich zu stoßen. Ihre Willenskraft löste sich im Handumdrehen in Luft
auf, und ihr Körper wurde von einem so heftigen Verlangen gepackt, dass es sie
schüttelte. Sie begehrte ihn mit jedem Atemzug, den sie tat. Der Hunger stieg
wie aus dem Nichts auf und verzehrte sie, nahm ihr jeden gesunden
Menschenverstand und ersetzte ihn durch Verlangen. Sie stieß einen leisen
Protestlaut aus. Oder war es der Wunsch, von ihm in die Arme genommen zu
werden? Sie wusste es selbst nicht. Sie wusste nur, dass sie für ihn geschaffen
war, dazu geboren, in seinen Armen zu liegen.
Er war für sie die verbotene
Frucht, einfach aufgrund dessen, wer sie war und was sie war. Wer und was Byron
war. Aber das zählte nicht. Hier in ihrem dunklen Schlafzimmer, vor dem der
Wind protestierend aufheulte, lieferte sich Antonietta ihm aus und nahm sich,
wonach sie sich sehnte.
Sie wandte den Kopf und presste
ihre Lippen an seinen Hals, kostete seine Haut, sog seinen Duft ein. Ihr Mund
wanderte weiter nach unten und glitt federleicht über seine Kehle. Mutig
geworden, knabberte sie vorsichtig an seinem Kinn. Sie spürte, wie sein Körper,
der eng an ihren geschmiegt war, darauf reagierte, indem er härter und steifer
wurde.
Seine Hände schlössen sich
fester um sie, vergruben sich dann in ihrem Haar und zogen ihren Kopf ein wenig
nach oben. »Bist du dir sicher, dass du das willst?« Er wollte die Wahrheit von
ihr hören, forderte sie ein. »Es gibt kein Zurück, Antonietta. Ich werde dich
nicht aufgeben. Ich werde mich nicht mehr damit begnügen, nur wieder der
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