Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
kahlköpfiger Mann am Nachbartisch erschrak so, dass seine Hände zuckten und die Zeitung von der Wasserkaraffe rutschte, auf die er sie sorgfältig platziert hatte.
Am Abend schickte ich Markey eine E-Mail. Ich hatte den Küchentisch näher an den Kaminherd geschoben. Alles, was ich brauchte, war in Reichweite, als lebte ich in einer Jurte, umgeben von der unwirtlichen Tundra. Selbst Bell war damit zufrieden, zu meinen Füßen in ihrem Korb zu sitzen. Aber sie bewachte die Flammen im Kamin so aufmerksam, als könnten sie irgendetwas Unerwartetes tun, sobald sie ihren Blick abwandte.
Ich teilte Markey mit, dass ich versucht hatte, einen Text über Kunst und Älterwerden zu schreiben, ihm zu Ehren – dass es mir aber nicht gelungen war, weil es einfach zu viel zu sagen gab.
Wenn man das Glück hat, ein Künstler zu sein, ist das Älterwerden ein zusätzlicher Segen. Dafür ist Yeats ein Beweis – er war großartig im Alter. Das Gleiche gilt für Tizian und Wallace Stevens und Verdi und Beethoven. Die Kunst gewinnt an Tiefe und Signifikanz. Und auch Menschen wie wir, die keine Künstler sind, denen die Kunst aber etwas bedeutet, begreifen jeden Tag besser, was sie uns sagen will. Das Lesen, das Zuhören, das Betrachten – alles wird immer wichtiger für uns. Wo sonst haben wir Zugang zu einer Dimension, die umfassender ist als die menschliche Individualität und die eine Lebenszeit überdauert? Die Kunst befreit uns von der Banalität des Alltags, vom Gedanken an Geld und
Besitz. Denn wahre Kunst ist nicht käuflich. Sie lässt sich nicht vorschreiben, was sie ausdrücken soll und wie sie es ausdrücken soll. Sie wählt selbst ihre Zeit und die Mittel, mit denen sie uns erreichen will. (150 Wörter)
Ich schaffe es nicht, Markey. Nicht mit hundertfünfzig Wörtern und auch nicht mit irgendeiner anderen Zahl.
Als ich später im Bett lag, entschuldigte ich mich bei W. B. Yeats.
»Wer weiß, ob nicht tatsächlich überall Elfen herumhüpfen?«, sagte ich zu ihm.
Dann stellte ich mir das Vogelgezwitscher vor, das in den Buchen von Milbay Point erklingen würde, wenn endlich besseres Wetter wäre. Gepünkteltes Licht würde durch die Blätter fallen, und die Ringeltauben würden gurren. Dort, wo die Bäume weniger dicht standen, in den Lichtungen beim Lagerrand, würden Schmetterlinge über das seidige Gras flattern. Vielleicht gab es auch Libellen, diese wunderbaren Insekten mit ihrem Doppelflügelpaar, schwarz und silbern.
Ich hatte meinen Vater immer wieder gebeten, mir eine Libelle zu fangen, weil ich mir das winzige Gesicht näher ansehen wollte. Von den Illustrationen eines Kinderbuchs, das ich in der Schule gesehen hatte, wusste ich nämlich, dass Libellen Gesichter hatten. Gegen Ende seines Lebens schweifte Dads Geist immer wieder ab, und Min erzählte mir, dass er einmal morgens aufgewacht war und zu ihr gesagt hatte, er komme gerade aus Phoenix Park zurück, wo er Libellen gefangen habe, und sie müsse ihnen Futter geben.
»Sie sind da drüben«, sagte er. »In der Tasche von meinem guten Mantel.«
MarkC an RosieB
Meine liebe Rosie, das sind 150 wunderbare Wörter über Kunst. Besser als alles, was ich bisher zu diesem Thema gelesen habe. Große Gedanken auf kleinstem Raum.
Es ist gut für die einfacher gestrickten Menschen im Mittleren Westen, die diese hübschen kleinen Minibücher mit Brokatcover kaufen sollen, dass die letzten drei Gedanken simplere Themen behandeln. Reisen, Essen und – ich habe vergessen, was der letzte Gedanke ist. Aber wir haben es fast geschafft.
Du bist klasse. Warst Du schon immer.
16
K ommst du heute Nachmittag mit ins Kino?«, rief Andy durch den Flur. »In die Abendvorstellung kann ich nicht, weil ich zurück aufs Land muss. Am Wochenende geht’s dann rüber nach England. Ocean’s Eleven. Du kannst dir George Clooney anschauen, und ich kann die Handlung genießen. Ich habe übrigens gestern Abend bei dir geklingelt, aber du hast nicht aufgemacht.«
»Mensch, Andy. Ich habe zur Abwechslung mal die Haustür abgeschlossen, aber hier war ich trotzdem.«
»Ich schau mir die Klingel kurz an«, sagte er und fing schon an, die Kabel zu inspizieren. »Machst du uns’ne Tasse Tee? Wenn Min hier ist, hat sie schon Wasser aufgesetzt, bevor ich überhaupt richtig zur Tür rein bin. Das heißt, nur, wenn sie guter Laune ist.«
»Zurzeit ist sie immer gut gelaunt, glaube ich. Das Reisen gefällt ihr. Genau wie deiner Pearl – die ist ja auch dauernd
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