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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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schlug einen gewaltigen Akkord an, der alle aufschreckte. An einem verregneten Nachmittag spielte sie eine Chopin-Ballade, nur für mich, die Ballade Nr. 3 in As-Dur. Als
sie fertig war und ich wie benommen dastand, stürzte sie aus dem Raum, als hätte sie etwas Schlimmes verbrochen. Ich brachte Markey dazu, mit mir in die Stadt und in den Plattenladen zu gehen, und dort hörte er sich an, wie Rubinstein diese Ballade spielte. Er rührte sich nicht, war aber trotzdem nicht ganz so reglos wie Leo, wenn er Musik hört.
    Der Bus hielt an der O’Connell-Brücke, wo ich in Gedanken das Ufer aus Matsch und Kies begrüßte, flussaufwärts. Vielleicht war genau hier die Stelle, an der im Mittelalter die Dubliner in ihren Kapuzenumhängen die Wikingerschiffe an Land zogen. Ich sah sie richtig vor mir, hochgewachsene Männer mit dicken goldenen Bärten, die das Ufer hinaufkletterten und dann durch die rauchigen, engen Gassen streiften.
    »Ist das Ihr Notizbuch?«, fragte mich der Mann neben mir.
    »Ja, ist es«, antwortete ich schroff und sprang aus dem Bus.
    In dem Buchladen gegenüber vom Trinity College fand ich den ersten Schatz des Tages … ein Buch mit dreiunddreißig Radierungen eines deutschen Malers. Es waren Porträts, aber nicht von ganzen Gesichtern, sondern nur von Augen. Zu jedem Augenpaar gehörte eine Miniatur von W. G. Sebald, ein haikuartiges Gedicht. Ich konnte die Beziehung zwischen Worten und Bildern nicht ganz nachvollziehen. Aber vielleicht ging es ja vor allem um den Klang. Bei einem Augenpaar handelte es sich um das von Sebalds Hund, und die Augen dieses Hundes waren genauso traurig wie die seines Herrn. Ich kaufte das Buch und ging zur Nationalbibliothek. Unterwegs dachte ich mir eine Verteidigungsrede aus.
    Einer der Vorteile des Älterwerdens liegt darin, dass man sich stärker auf die eigenen Reaktionen verlässt. Zum Beispiel werden die Gelehrten sagen, dass eine ästhetische Reaktion frei sein muss von Sentimentalität. Aber wenn man beispielsweise auf die Abbildung eines Hundes reagiert, hat das nichts mit Aspekten wie Farbe oder Form zu tun, die immer das Visuelle bestimmen …

    Ich war zwar schon zu spät dran für meine Verabredung mit Tessa, aber als ich zur Bibliothek kam, nahm ich mir trotzdem die Zeit und ging am Eingang von einer Granitsäule zur nächsten und berührte sie, weil James Joyce sich an diese Säulen gelehnt hatte. Und weil ich selbst mich auch an diese Säulen gelehnt hatte, als ich jung war. Und Markey ebenfalls. Wir unterhielten uns immer auf den Stufen zwischen den Säulen, wenn ich meinen freien Tag hatte. Wie die jungen Menschen in Ein Porträt des Künstlers als junger Mann , und wir redeten auch über so ziemlich die gleichen Themen. Danach ging ich immer in den Lesesaal, suchte mir dort einen Platz und legte den Kopf in den Nacken, um verträumt die Füße der Möwen zu betrachten, die auf der Glaskuppel über mir herumtrippelten. Und manchmal steckte ich mein Buch unter den Pullover und nahm in einer Kabine in der altmodischen Damentoilette Platz, um zu lesen und zu rauchen.
     
    Ich war zu Min gegangen und hatte sie gebeten, den Antrag zu unterschreiben, damit ich einen Leserausweis bekam.
    »Was ist das?«, fragte sie, als hätte sie in ihrem Leben noch nie ein Formular gesehen.
    »Es ist für die Nationalbibliothek.«
    »Musst du nicht einen Mann bitten, das zu unterschreiben?«
    »Nein. Hier steht ›der/die Erziehungsberechtigte‹.«
    »Die blöde Kuh in der Bibliothek von Milbay hat mir keinen Ausweis gegeben«, sagte Min verbittert. »Sie hat gesagt, da muss ein Mann unterschreiben.«
    Mir klappte vor Staunen die Kinnlade runter.
    »Ich habe geglaubt, jeder kann einfach in die Bibliothek gehen und sich Bücher ausleihen«, fuhr sie fort. »So wie auch jeder auf die Post gehen kann – ich dachte, man hat ein Anrecht darauf. Es gab damals kein Fernsehen, und im Winter war es so langweilig, dass man sich am liebsten die Kugel gegeben hätte.
Zu Hause gab es nur ein Radio mit einer Blei-Säure-Batterie, die mein Vater immer in der Werkstatt in Milbay aufladen lassen musste, aber er hat das oft vergessen, und es war sowieso sehr schwierig, die Batterie im Boot zu transportieren. Ich musste das Formular von jemandem unterschreiben lassen, der im Wählerverzeichnis registriert war, aber die Inselmänner haben sich nie registriert, und sie gingen auch nicht zur Wahl. Wenn jemand etwas über sie erfahren wollte, musste er zum Priester gehen.«
    »Aber konnten

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