Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
würde gerne reisen.« Komisch, dass niemals jemand sagte: »Ich hätte gern ganz viel Sex.«
Seit sich der heilige Brendan in seinem Lederboot aufmachte, um Amerika zu finden, sind die Iren Reisende. Man schleppt den Koffer zum Flughafen, man wartet in der Schlange, man nimmt das Risiko des Flugs auf sich und die Nebenwirkungen, denn danach müssen sich Körper und Geist der neuen Umgebung anpassen, und all das stellt hohe Ansprüche an die praktischen Erfahrungen und die Flexibilität, die man im Lauf der Jahre erworben hat.
Aber Reisen muss nicht unbedingt …
Einmal, auf der albanischen Seite des Ohridsees, besuchte ich ein ärmliches Dorf, das früher ein Ferienparadies der Hoxha-Elite gewesen war und jetzt zu einem schmutzigen, elenden Ort verkommen war. Die Blocks mit den Arbeiterwohnungen waren verfallen und wirkten uralt, wie aus der Zeit vor der Moderne. Auf den Balkonen war Holz gestapelt, weil das Heizungssystem längst zusammengebrochen war. Im Hotel roch es modrig und
verfault, die meisten Rohre waren aus der Wand gerissen, und in unserem Badezimmer spritzte kochend heißes Wasser aus der rissigen Leitung. Ich war mit einer Frau unterwegs, einer Kollegin, die mit mir in Luxemburg zusammenarbeitete und die schon überall gewesen war, aber selbst sie verlor die Lust, als wir die ehemalige Promenade über dem steinigen Seeufer entlanggingen. Überall lag Müll herum, in regelmäßigen Abständen kamen wir an Bunkerunterständen vorbei, die nach menschlichen Exkrementen stanken. Und dann wurden wir auch noch von ein paar kleinen Jungen attackiert, von wilden Kindern, die sich von hinten an uns anschlichen, einfach nur, um uns zu schlagen, weil wir nichts bei uns trugen, was sie stehlen konnten.
Auf der einen Seite ist die Logistik. Auf der anderen Seite ist der Erfahrungsreichtum, den uns das Reisen schenken kann. Und die mittleren Jahre machen einen Menschen offen für diesen Reichtum. Endlich hat man die Zeit dafür, das Geld, das Wissen und den nötigen Pragmatismus …
Aber eine alte Frau, die hinter ihrem Gartentörchen stand, rief uns leise auf Französisch einen Willkommensgruß zu. Und als wir uns in dem klammen Hotelbett aneinanderschmiegten, um uns ein wenig zu wärmen, drang aus dem Tanzsaal Musik zu uns herauf. Eine Liveband spielte, und die Menschen lachten und tanzten. Am Morgen gingen wir im strahlenden Sonnenschein zu Fuß bis zur Grenze, die nur eine Meile entfernt war, und als wir nach Mazedonien kamen und der lange Marsch zur nächsten Stadt begann, tauchte auf dieser Landstraße plötzlich wie aus dem Nichts ein Doppeldeckerbus auf. Wir winkten, eigentlich nur zum Spaß, doch der Bus hielt tatsächlich an, und der Fahrer kutschierte uns, holterdipolter, bis ins Stadtzentrum. Wir bekamen von ihm auch ein Zimmer für die Nacht – das Zimmer seines Sohnes, dekoriert mit Fußballpostern -, und wir konnten endlich etwas essen gehen, auf einer Holzveranda über dem kristallklaren See. Wir aßen Würstchen mit knuspriger
Haut und Kartoffeln, dazu tranken wir goldenes Bier, und meine Freundin lächelte wieder, das erste Mal seit Tagen – seit wir aus Griechenland abgereist waren. Ich lächelte auch, bestellte noch ein Bier und lehnte mich entspannt zurück, und die Spatzen hüpften um unsere Füße herum.
Durch diese extreme Erfahrung begriff ich, warum ich immer weiterzog. Beim Reisen ging es mir darum, dass ich es schaffte . Es ging mir um die Bewegung und um die Entspannung, die entsteht, wenn die Probleme gelöst sind. Ich wollte die Gefahren abwehren, die den lockenden Idealzustand bedrohten, und mir ein provisorisches Zuhause schaffen, das nichts als Glück in sich barg.
Ich wusste schon, bevor ich anfing, dass ich ein Opfer gebracht hatte, um reisen zu können.
In meinem alten Dokumentenkoffer, in dem ich wichtige Dinge und Schätze aufbewahrte, war auch der Zeitungsnachruf auf Hugh Boody, den Min für mich aufbewahrt hatte. An den Knickstellen war er schon etwas brüchig, und niemand wusste, dass ich ihn besaß.
Für mich war er wichtig.
Ich war fünfundzwanzig und im letzten Studienjahr. Weil ich ein Stipendium hatte, musste ich nicht mehr bei Boody arbeiten, außer donnerstagabends. An einem solchen Donnerstag kam Mr. Boody, der auf dem Weg zu dem Golf-Dinner war, von dem er Mrs. Boody abholen musste, beim Laden vorbei. Als wäre es das Normalste auf der Welt, bat er mich, ihn am Sonntagnachmittag um vier in der hinteren Bar in einem Hotel beim Bahnhof Heuston zu
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