Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
sind. Vielleicht sind sie nach Amerika gegangen, weil dieser Typ, der mit dem Flugzeug dort abgestürzt war, aus Amerika stammte und sie eingeladen hat.«
»Klar weiß ich das noch! Und deswegen machst du jetzt wieder so einen Aufstand?«
»Warte doch noch einen Moment!«
Ich setzte noch einmal an. »Also, nach meinen Recherchen war im Milbay Herald ein Foto von dem Piloten. Das Problem ist nur, dass es die Zeitung seit einer Ewigkeit nicht mehr gibt. Aber ich habe das Herald -Archiv gefunden! Die Frau an der Information kennt mich inzwischen, weil ich so oft in der Bibliothek bin, und sie hat mir erlaubt, in den Keller zu gehen und selbst zu suchen. Und ob du’s glaubst oder nicht, Min – das Foto gibt es tatsächlich! Ich hätte nie gedacht, dass ich je eine Aufnahme von Stoneytown zu sehen bekomme. Da steht ein Typ, mit Bürstenhaarschnitt und in einem Fliegeranzug, er hat seinen Helm in der Hand und grinst über das ganze Gesicht. Der Hintergrund ist verschwommen, man kann nur ahnen, dass sich da ganz viele Leute drängen. Aber vor dem Mann und um seine Beine herum sind lauter Kinder. Ich kann sie nicht erkennen, für mich sind es nur barfüßige Kinder mit undeutlichen Gesichtern und schwarzen Punkten als Augen, aber du wüsstest bestimmt, welches von ihnen du bist.«
»Na, so was!« Min war sprachlos. »Tja – du lieber Gott! Der Flugzeugmann!«
»In der Zeitung war eine Bildunterschrift unter dem Foto. Hörst du mir noch zu?«
»Natürlich höre ich dir zu.«
»Da steht: ›Mr. ‚Ginger‘Charles Novitzky aus Duluth, USA, war diese Woche ein willkommener, wenn auch überraschender Gast in Milbay, nachdem sein Flugzeug bei einem Übungsflug von Prestwick Probleme mit den Triebwerken bekommen hatte. Der unerschrockene Pilot musste auf der Wiese östlich von Trumbull’s Woods notlanden, ein Manöver, das eine neugierige Menschenmenge vom Milbay Kai aus verfolgte.‹ Ich habe jetzt einen Antrag eingereicht, damit sie das Originalfoto für mich suchen und ich einen besseren Abzug bekomme.«
»Lies mir den Text bitte noch mal vor«, sagte Min nach einer Pause. Ich glaubte, ein Zittern in ihrer Stimme zu vernehmen,
aber auf eine Entfernung von sechstausend Meilen kann man so etwas nicht mit Sicherheit sagen.
Ich las ihr die Bildunterschrift noch einmal vor.
»Genau. Ginger. So hieß er. Deine Mutter und ich, wir haben im Bett unseres Vaters geschlafen, und der Flugzeugmann hat auf dem Klappbett geschlafen und unser Vater im Sessel. Aber die beiden haben sowieso nicht viel Schlaf bekommen. Mein Vater hat den selbst gebrannten Whiskey hervorgeholt, und ich habe gehört, wie sie redeten. Über den Krieg haben sie gesprochen. War deine Mutter auf dem Foto? Sie hat damals immer gesagt, Ginger ist wie aus einem Film.«
»Ich weiß nicht, ob sie auf dem Bild war. Du musst sie mir zeigen, wenn du nach Hause kommst. Ich weiß doch gar nicht, wie sie damals ausgesehen hat.«
»Lies es mir noch mal vor.«
Ich las.
Und plötzlich erzählte Min mir eine Geschichte, die sie mir noch nie erzählt hatte.
»Deine Mutter hat sich Amerika in den Kopf gesetzt, und ich glaube, das kam von dem Flugzeugmann. Die Art, wie er vom Himmel heruntergekommen ist. Sie wollte sowieso weg, weil sie gehört hat, wie eine der Frauen sagte, wer Noreen Connors bekommt, erbt ein schönes Haus. Dadurch hat sie gewusst, dass man sie bald unter die Haube bringen will. Sie hat immer das Kleingeld aus den Manteltaschen geklaut, wenn die Männer bei uns zu Hause Karten spielten, jedes Mal ein paar Münzen, und die hat sie in einer Zigarettenschachtel gesammelt, auf der vorne drauf ein Bild von einem Fluss war. Ein Jahr lang hat sie gespart, oder vielleicht auch noch länger, und sie war überzeugt, sie hat genug zusammen für Amerika, als sie weggelaufen ist. Wir wollten unbedingt Mr. Deeds geht in die Stadt sehen, sie war ganz verrückt darauf. Jedenfalls habe ich ihr geholfen. Ich habe ihr den guten Rock in den Wald gebracht und ihren Hut
und einen frischen Brotkranz. Sie hatte eine Tasche in einem hohlen Baumstamm versteckt, und dann ist sie in den Bus nach Dublin gestiegen. Ich habe die ganze Zeit gedacht, sie ist in Amerika. Ich hatte keine Ahnung – bis mein Vater mir gesagt hat, ich muss nach Dublin und auf ihr Kind aufpassen. Erst da habe ich erfahren, dass sie gar nicht in Amerika ist. Dass sie nie dort war.«
Wir schwiegen beide. Draußen war es dunkel. Ich hätte am liebsten losgeheult.
Nach einer Weile erkundigte sich Min,
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