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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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wie ihr Leben jetzt aussah, dann wäre mir das nicht passiert. Ich hätte gewusst, dass ich nicht von ihnen erwarten konnte, den ganzen Abend mit mir zu verbringen. Aber sie hatten sich umgekehrt auch keine Gedanken über meine Situation gemacht. Ihnen war nicht in den Sinn gekommen, dass ich, wenn sie sich verabschiedeten, allein und traurig im Pub herumhockte.

    »Aber deine amerikanischen Freunde sind keine richtigen Freunde«, unterbrach ich Min, weil ich sie beneidete und weil es mir gleichzeitig gefährlich erschien, dass sie dermaßen vertrauensselig war. »Sie sind nicht wie Reeny. Sie haben nicht mal richtige Häuser. Sie haben ihr eigenes Leben – du kannst dich nicht auf sie verlassen.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Du bist ja auch nach Hause zurückgekommen, stimmt’s? Wahrscheinlich wärst du nicht gekommen, wenn du einen Ort gefunden hättest, wo’s dir besser gefällt.«
    Am liebsten hätte ich losgejammert und gesagt: Freust du dich denn gar nicht, dass ich heimgekommen bin? Bist du mir denn überhaupt nicht dankbar? Aber ich konnte mich gerade noch bremsen. »Du bist meine Tante«, sagte ich so beiläufig wie möglich. »Du bist meine einzige Verwandte auf der Welt. Du solltest eine gute Meinung von mir haben. Dass ich nicht so furchtbar viele enge Freunde habe, liegt nicht daran, dass ich nicht beliebt bin. Es gibt viele Leute, die mich sehr gernhaben. Überall auf der Welt. Ich habe mich nur nie irgendwo niedergelassen, weil …«
    Plötzlich sprach sie mit dieser zärtlich tröstenden Stimme, wie an dem Abend, als sie mich von meinen Ohrenschmerzen heilte. »Das kommt schon noch, Rosaleen«, sagte sie. »Warte nur, bis du so alt bist wie ich, dann hast du auch deine eigenen Leute. Du bist ja noch ein kleines Mädchen.«
    Mein Leben als Robinson Crusoe beurteilte sie allerdings ziemlich geringschätzig.
    »Der Brunnen?«, rief sie. »Da ist mir ein Wasserhahn doch tausendmal lieber. Aber trotzdem – ich muss sagen, so gutes Wasser wie da gibt es sonst nirgends. Es ist nämlich ein heiliger Brunnen, musst du wissen. Ich weiß allerdings nicht mehr, zu welchem Heiligen er gehört. Die alten Frauen dachten, das Wasser kann verhindern, dass ihre Kinder sterben. Du weißt ja, wie sich alte Frauen an so einem Quatsch festhalten, aber es ist
nicht ihre Schuld, sie wissen es nicht besser, weil sie noch nie irgendwo waren. Und es sind trotzdem sehr viele Babys gestorben.«
    Ein Auto fuhr vorbei. Es hatte schon Licht an. Die Bäume waren so dunkel hier, und heute wehten sie in einem kalten Wind.
    Weil ich nicht wollte, dass Min auflegte, fragte ich: »Meinst du, es ist hier zu windig, um Tomaten anzupflanzen?«
    »Woher soll ich das wissen?«, sagte sie. »Mich darfst du das nicht fragen. Ich habe mit fünfzehn meine erste Tomate in der Hand gehalten. Wir mussten Algen essen, kannst du dir das vorstellen? Wir haben härter gearbeitet als die Sklaven. Hast du je Algen gesammelt, in kaputten Stiefeln, die deinem Vater gehören und in denen du im Regen auf den Felsen herumrutschst und dir Hände und Knie aufschürfst? ›Sleabhcan‹ hieß das Zeug. Das war unsere Ernte. Algen. Das muss ich unbedingt Luz erzählen. Nur gut, dass ich jahrelang nicht mehr daran gedacht habe. Es gibt zwei Dinge, die ich weiß, wenn es um die Algen geht: wie man sie erntet und wie man vergisst, dass man sie ernten musste.«
    Sie fing an, sich zu verabschieden. Sie wollte mit Luz auf einen Kunsthandwerkmarkt, bei dem lauter Sachen aus Holz verkauft wurden.
    »Aus Holz oder aus Walen«, sagte sie bedeutungsvoll. »Alles, was es gibt.«
    »Was heißt das, aus Walen?«
    »Ich weiß nicht, aus welchem Teil des Wals«, antwortete sie schon etwas weniger selbstsicher.
    »Na, ich hoffe nur, die Wale stinken nicht«, sagte ich. »Gleich neben meinem Auto liegt ein toter Dachs. Ich parke meinen Wagen immer in einer Höhle im Steinbruch, gleich auf der anderen Seite des Hügels, vom Haus aus gesehen.«
    Und Min sagte: »Ich kenne die Höhle, da haben wir immer unsere Säcke abgestellt. Jede Frau hat ihren eigenen Sack mit
Heu oder mit Heidekraut vollgestopft, damit wir darauf sitzen konnten, während wir Steine klopften.«
    »Gute Idee.«
    »Wenn du einer den Sack weggenommen hast, dann hat sie dich verprügelt. Da gab es wirklich üble Frauen. Ich habe gesehen, wie sie einander mit den Fingernägeln die Gesichter zerkratzt haben, oder sie haben sich getreten oder der anderen ein Bein gestellt oder sich gegenseitig umgeschubst und dann

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