Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
auch genug Geld?«, flüsterte ich ihm aufgeregt zu. »Du musst eine Runde ausgeben …«
»Qu’est-ce que c’est?«
»Monty! Bitte, erklär doch unserem ami , wie das in Irland ist, wenn man Bier trinken geht. Dass man immer eine Runde bezahlen muss und so. Ja? Und pass gut auf ihn auf. Und …«
»Bis morgen!«
»Bis morgen!«
Ich verbrachte den Nachmittag damit, Mins Haus zu putzen und den Garten zu wässern. Neben dem Kaminherd legte ich eine Schachtel Streichhölzer bereit. Ich ging gut gelaunt hin und her, durch die wechselnden hellen Formen, die das Sonnenlicht auf den Fußboden malte. Im Radio kam ein Lied, das für mich so eine Art private Erkennungsmelodie war, weil ich es immer dann hörte, wenn ich gerade zu der Erkenntnis gekommen war, dass ich weiterziehen sollte. Ich setzte mich in den Türrahmen
und hörte zu, ergriffen wie immer. Es war das letzte Lied, das Schubert komponiert hatte, und ich kannte es auswendig. Ich hatte es auf Kassette gehabt, als man noch Kassetten spielte. »Der Hirt auf dem Felsen« hieß es. Seltsamerweise wird das Lied immer von einem Sopran gesungen. Die Singstimme teilt der Welt mit, welch tiefer Gram sie verzehrt, dass ihre Freude dahin und alle Hoffnung von ihr gewichen ist.
»Ich bin so einsam hier«, klagt sie, und die Klarinette klagt mit ihr.
Und dann – ich ging schnell zum Radio, um es lauter zu stellen – kommt eine schwindelerregende, hinreißende und völlig unmotivierte Kehrtwendung, bei der ich jedes Mal, wenn ich das Lied höre, hilflos lächeln muss. Die Sopranstimme beginnt plötzlich zu jubeln:
Der Frühling will kommen,
Der Frühling, mein Freud’,
Nun mach’ ich mich fertig,
Zum Wandern bereit .
Ich hatte dieses Lied immer gespielt, wenn ich selbst wieder zum Wandern bereit war.
Jetzt ging ich hinaus in Mins Garten und legte ein Gelöbnis ab. Das Wandern gehörte der Vergangenheit an. In meinem Inneren war ein Entschluss herangereift, ohne dass ich bewusst darüber nachgedacht hatte. Ich wollte zwar durchaus wieder weggehen von hier, aber immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass ich nach Hause zurückkehren würde.
Es gab einen ganz bestimmten Grund, weshalb ich Hugh Boody abgewiesen hatte, weshalb ich mir überall und nirgends Freunde gesucht und freiwillig die Einsamkeit gewählt hatte. Der Grund war die Freiheit und das Verlangen, das Wunderbare zu suchen. Ich folgte diesem Wunderbaren über den ganzen
Globus hinweg. Es war in den Iguaçu-Wasserfällen und im Kölner Dom und in der Korallenunterwelt des Great Barrier Reef vor der Küste Australiens. Und überall dort, wo ich noch nicht gewesen war. Und auch darin, dass ich plötzlich zur Verfasserin weiser Mini-Essays wurde, für die fremde Menschen mir eine Riesensumme bezahlen würden und die noch fremdere Menschen lesen und als Denkanstoß nehmen würden.
Doch jetzt fand ich die normale Welt mindestens so spannend. In Stoneytown hatte es mir zum Beispiel besonders große Freude bereitet, abends neben dem Wasserkocher meine Sachen für das Frühstück bereitzustellen: Becher, Teller, Messer, Löffel. Ich fand es herrlich, die Wäsche von der Leine zu nehmen und das Bett frisch zu beziehen. Die Laken besaßen diese feine Kälteschicht vom frischen Wind, der sie getrocknet hatte. Ich genoss es, als Letztes die Riegel von Scheune und Schuppen zu überprüfen, gemeinsam mit dem Hund, und dann den Balken innen an der Hintertür anzubringen. Der Hund gab immer ein bisschen an, indem er schon zur nächsten Station vorantrottete. Es gefiel mir, dass wir jeden Abend der gleichen Route folgten, und ich wusste, dass es dem Hund mindestens genauso gut gefiel.
Ich würde den Freunden antworten, wenn sie beim Picknick einen Toast auf mich ausbrachten: Ich bin anders zurückgekommen als früher. Ich bin nach Hause gekommen. Wenn ich wieder gehe, ist das nicht viel mehr als ein Ausflug.
Also gut! Es konnte losgehen. Ja, ich war im Supermarkt gewesen, ja, ich hatte Teller und Gläser gepackt, ja, ich hatte Bell eingefangen, und sie schmollte jetzt in ihrem Korb auf dem Beifahrersitz, und ja, ich hatte mein weißes Kleid, das ich auf Mykonos gekauft hatte, über den Rücksitz gelegt. In Stoneytown würde es voraussichtlich keine fünf Minuten überleben, bevor ihm etwas zustieß. Leos zweiter Leinenanzug hing hinten an der Tür, lang und schmal wie Leo. War Verliebtsein nicht ganz ähnlich
wie das Wetter? Alles beherrschend, solange es da war, und dann, wenn es vorbei war, für immer
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