Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
machte, sich zu entschuldigen, konnte ich mich nicht mehr beherrschen.
»Wo steckst du?«, zeterte ich los. »Bist du zu Hause? Falls du zu Hause bist – der Mann mit dem ausländischen Akzent ist mein Freund Leo, den ich immer besucht habe, und …«
»Was hat dieser Mann in meinem Haus verloren?«
»Heißt das, du bist nicht dort?«
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Du bist nicht zu Hause?«
Sie sagte nichts, und ich spürte, wie sich mein Magen verkrampfte und eine diffuse Übelkeit in mir hochstieg.
Schließlich seufzte sie tief. »Ach, Rose …« Mehr nicht. Aber ihre Stimme klang sehr zärtlich.
Also blieb es mir überlassen, die Fakten auszusprechen: »Heißt das, du bist noch in Amerika?«
»Ja.«
»Aber du hast ja noch Zeit. Bei euch ist erst Nachmittag. Du kannst abreisen, bevor das Visum abläuft. Du kannst überallhin.«
»Rosaleen, das weiß ich doch. Ich kenne die Vorschriften. Aber ich kann noch nicht nach Hause fahren.«
»Wenn du nicht sofort nach Hause kommst, verstößt du gegen das Gesetz!«, erklärte ich ihr aufgeregt. »Du bekommst enorme Schwierigkeiten. Und wenn sie dich abschieben, darfst du nie wieder in die Staaten einreisen. Dann kannst du dich auch nie mehr mit deinen Freunden treffen, mit Carmen und Maya und Tuk oder wie sie alle heißen. Seit dem elften September ist alles anders. Deine Ausreden und Erklärungen interessieren die nicht. Man darf nicht mehr einreisen, wenn man sich nicht an die Bestimmungen hält. Man steht dann auf einer Liste. Den Leuten bei der Grenzkontrolle ist es völlig egal, dass du alt bist – sie verhaften dauernd alte Leute. Man verdächtigt sie als Terroristen, weil sie ihre Tickets mit Bargeld bezahlen …«
»Das weiß ich doch alles«, antwortete sie. »Das ist ja auch das Problem bei Luz. Sie ist vor tausend Jahren aus Mexiko hierhergekommen, und sie kann das Land nicht verlassen, weil sie nie wieder einreisen dürfte. Sie sitzt hier fest. Aber ich kann nicht einfach abhauen und sie im Stich lassen. Gestern Abend musste sie hier ins Krankenhaus. Wir waren gezwungen, gleich zu bezahlen, und jetzt ist sie wieder hier im Zimmer, aber es geht ihr gar nicht gut, und wir haben fast kein Geld mehr. Ich hätte mir keine Telefonkarte gekauft, aber weil du Geburtstag hast, habe ich es trotzdem getan. Ich muss in Amerika bleiben und mir eine Arbeit suchen. Du weißt ja, dass Luz raucht. Daher kommt das alles.«
Sie erzählte mir die ganze Geschichte.
Sie hatten sich auch in Duluth wieder an das katholische Netzwerk gewandt. Als Erstes hatten sie sich bei der Managerin
eines Motels erkundigt, ob es in der Stadt einen netten Priester gab, und zu diesem Priester waren sie dann gegangen. Er vermittelte ihnen eine Einzimmerwohnung mit Kochnische in einem städtischen Hostel für Menschen ohne festen Wohnsitz. Sie hatten sich gefreut und im Aufenthaltsraum mit den anderen Gästen ferngesehen und Karten gespielt. Min wollte über den lokalen Radiosender Menschen aus Stoneytown suchen. Alle fanden die Idee erstklassig, und die anderen wollten auch gleich ihre Verwandten und Bekannten suchen. Min arbeitete als Küchenhilfe in der Bar gegenüber auf der anderen Straßenseite, ihre Schicht ging bis elf Uhr nachts, danach wurde kein Essen mehr serviert, und sie bekam zwanzig Dollar auf die Hand.
Als sie ins Hostel zurückkam, hatte sich jemand über Rauchgeruch beschwert, aber die Wohnungen hatten schwere Feuertüren, und im Büro des Managers müsste ein Rauchmelder losgehen, wenn es irgendwo brannte. Es war kein Alarm ausgelöst worden.
Doch Min kriegte die Tür zu ihrem Zimmer nicht auf.
Als der Manager sie dann mit dem Hauptschlüssel öffnete, war alles voller Rauch. Und Luz lag bewusstlos direkt an der Schwelle.
Die Feuerwehr traf ein, und die Sanitäter meldeten der Notaufnahme, dass demnächst ein Transport komme. Min hörte, wie sie sagten, die Vitalzeichen der Patientin seien gut, sie habe aber an verschiedenen Stellen Verbrennungen.
»Und weißt du, Rosie – ich habe sie hierhergebracht. Die Sache mit Duluth war meine Idee. Und jetzt geht es ihr so schlecht. Soll ich dir sagen, was der Sanitäter sonst noch gesagt hat?« Mins Stimme zitterte, und sie begann zu schluchzen. »Ich habe gehört, wie er den Leuten von der Notaufnahme sagte, sie sollten sich ihre Hände genau ansehen, weil an der Tür Spuren von ihren Händen seien. Ihre Fingernägel sind abgebrochen
und die Handflächen schlimm aufgeschrammt. Und dann hat er noch was gesagt
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