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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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du mit ›nichts‹ meinst«, sagte ich und rannte die letzten Meter zum Kamm des Hügels. Oben drehte ich mich um, warf die Arme in die Luft wie ein Eroberer und vollführte einen kleinen Tanz. Den anderen rief ich lachend entgegen:
    »Bin ich etwa nichts?«
    Und sie riefen alle: »Nein!«
    Die frische Brise blies bei allen fünfen die Haare in dieselbe Richtung. Wenn man sie so vor sich sah, merkte man gleich, dass sie zusammengehörten. Dass sie alle Mitglieder derselben kleinen Bande waren. Ich wusste ja, wie viele Zweifel und Fragen es zwischen mir und ihnen und zwischen ihnen untereinander gab. Deswegen mochte ich sie umso lieber: Weil mir klar war, dass sie alle Schwierigkeiten hatten, ihr Leben irgendwie hinzukriegen, jeder für sich, und dass sie trotz allem bereit waren, das Leben zu feiern und großzügig zu sein. Drei Männer, von denen zwei schon eine Glatze bekamen. Zwei Frauen jenseits des gebärfähigen Alters. Und ich, die diese Lebensphase schon lange hinter sich hatte. Es rührte mich zu sehen, wie wir jetzt waren – Menschen in den mittleren Jahren. Wie wunderbar, dass wir aus unseren getrennten Leben heraustraten und uns auf einem Hügel versammelten, ohne irgendeinen praktischen Grund, sondern einfach nur, weil wir Freunde waren.
    Und natürlich schniefte ich vor Glück, als alle für mich »Happy Birthday to Rosie« sangen.
     
    Ich räumte auf, kochte mir einen starken Tee, und dann machte ich mich schon früh auf den Weg zur Telefonzelle, um nur ja pünktlich um neun Uhr da zu sein.
    Ein dramatischer Sonnenuntergang spielte sich im Westen ab: Fedrige Wolken aus Violett und Rot glühten am Horizont,
während der Himmel im Osten, draußen über dem Meer, bereits ein gleichmäßiges Grau angenommen hatte. Jetzt, in der Dämmerung, hatte der Wind sich gelegt. So still kannte ich das Meer gar nicht. Es lag da wie ein riesiges Stück Seide, in verschiedenen Grau-, Silber- und Schwarztönen. Die Wolken am Himmel verdoppelten sich durch ihr schimmerndes Spiegelbild, und am Uferrand wurden die Felsen von der Wasseroberfläche zurückgeworfen, wie aus Papier ausgeschnittene Bilder. Der kaputte Pier erhob sich schwarz über einem zweiten schwarzen Pier, und auf der anderen Seite der Flussmündung schimmerte das Ebenbild der Häuseransammlung von Milbay leicht verschwommen unter der unbeweglichen Realität. Selbst die Vögel, die am Rand des Kiesstrandes durchs Wasser wateten und normalerweise pausenlos schnatterten, waren verstummt.
    Eine Musikkapelle spielte in der Ferne. Bestimmt wurde irgendwo an der Flussmündung eine Hochzeit gefeiert.
    Ich ging den Feldweg entlang. Die Hündin, die in der Dämmerung fast unsichtbar schien, wuselte um mich herum. Als eine heimwärts strebende Ringeltaube ziemlich tief über mir in Richtung Wald flog, sprang sie hoch und knurrte drohend.
    Du beschützt mich, meine Kleine, lobte ich sie stumm, und ich möchte, dass du weißt, dass ich es weiß.
    Aber sie wartete nicht ab, bis ich ihr den Kopf tätscheln konnte, sondern verschmolz mit der beginnenden Dunkelheit.
    Vor mir, zwischen den schwarzen Bäumen, bewegte sich etwas Weißes. War da jemand mit hellen Haaren? Oder war es ein Gesicht? Das Phantom wich tiefer in den Wald zurück. Nein! Es kam den Weg entlang. Immer näher zum Haus!
    Mein Herz raste. Meine Ohren dröhnten. Das war doch eine Person, oder?
    Ich stolperte ihr entgegen. Ja! Sie hatte es geschafft! Vermutlich hatte sie ein Taxi zum Bahnhof genommen und war dann mit dem Zug nach Milbay gefahren …

    Eine Ziege. Grauweiß bewegte sie sich ruhelos durchs dunkle Gras. Ich konnte sie leise meckern hören.
    Geisterhaft und flink eilte sie den Weg hinunter, aber als sie mich sah, sprang sie auf die Grasböschung und verschwand in den dunklen Schatten.
     
    Zum letzten Mal wartete ich im Gras beim Parkplatz. Es würde ein feierlicher Moment sein, wenn ich den Hörer abnahm. Min und ich hatten uns durch diese Telefongespräche sehr verändert. Oder? Diese alte Zelle war mehr, als man auf den ersten Blick ahnen konnte; man betrat sie mit seinem gewöhnlichen Ich, aber wenn man herauskam, verstand man den anderen viel besser. Heute würde ich ihr nichts vorwerfen, obwohl ich mir solche Sorgen um sie gemacht hatte, weil sie über Duluth heimgefahren war. Ich wollte ihr auch nicht sagen, wie sehr es mich kränkte, dass sie meinen Geburtstag verpasst hatte. Heute konnte ich großzügig sein.
    Doch als sie genau wie immer »Hallo!« rief und keinerlei Anstalten

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