Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
trotzdem wunderschön aussahen. Daraufhin musterte mich Min mit einem Blick, der sagte: Manchmal bist du eine blöde Nervensäge. Ich konnte nicht behaupten, dass ich ihr das übel nahm. Aber trotzdem, und das sagte ich auch zu ihr – es stimmte einfach, dass ich schon in allen möglichen Ländern gelebt und einiges gesehen hatte. Und ich konnte nichts dagegen machen, dass mir zwischendurch
immer mal wieder etwas aus dieser Zeit einfiel. Sollte ich mich etwa lieber verstellen und so tun, als wäre das alles nicht so, nur um einer älteren Dame, die noch nichts von der Welt gesehen hatte, einen Gefallen zu tun?
Min fand das lustig. »Ach, unser Fräulein von Welt!«
Beim Eisessen konnte ich endlich aufhören zu schniefen: Ich hatte bei Ein Schweinchen namens Babe so geschluchzt, dass Tessa sich in die Reihe hinter mir setzte, weil sie nicht nass werden wollte. Sie sah richtig sportlich aus, in ihren grauen Leggings und dem weißen T-Shirt unter der dicken Fleece-Weste. Dazu trug sie dynamische Sneakers. Sie sagte nie, wie alt sie eigentlich war, aber sie musste um die dreiundsechzig sein, denn sie steuerte unaufhaltsam auf den Ruhestand zu. Was man niemals denken würde. Die silberne Locke in ihren ansonsten nur leicht grau melierten Haaren erweckte den Eindruck, als würde sie ehrlich zu ihrem Alter stehen. Ich hatte immer gedacht, dass es ihre Naturfarbe war, aber Peg meinte, vielleicht seien ihre Haare ja auch nur besonders raffiniert gefärbt.
»Vier Meilen auf dem Laufband heute Morgen«, verkündete Tessa. »Na, wie findet ihr das?«
»Stirbst du dabei nicht vor Langeweile?«, fragte ich. »Aber anscheinend lohnt sich die Mühe. Du siehst aus wie eine sexy Sportlehrerin.«
»Die Sportlehrerin an meiner Schule war eine fette Nonne«, entgegnete Tessa. »Hast du das Bridge-Buch dabei? Und hast du deine Hausaufgaben gemacht? Bridge wird uns vor Alzheimer bewahren. Und außerdem – du kannst doch zufrieden sein, du musst den ganzen Tag nichts arbeiten.«
»Nein, Bridge rettet uns nicht«, warf Peg schroff ein. »Wenn man Alzheimer bekommt, bekommt man es, egal, ob man Bridge spielt oder nicht – man kann gar nichts dagegen machen.«
Das sagte sie, weil ihre verstorbene Mutter Alzheimer gehabt hatte, bevor sie starb, und Peg vertrat schon immer die Theorie,
dass die Erkrankung nichts damit zu tun hatte, dass ihre Mutter nie etwas las, nicht einmal die Zeitung, und dass sie erst recht keine komplizierten Kartenspiele spielte. Peg meinte immer, ihre Eltern in Schutz nehmen zu müssen.
»Stimmt doch gar nicht, dass ich nichts arbeite!«, protestierte ich. »Ich habe übrigens große Pläne. Und zwar will ich ein Buch schreiben, einen Ratgeber – ihr wisst schon, diese Bücher, die in der Buchhandlung gleich bei der Kasse stehen, Zehn idiotensichere Tricks, um den richtigen Mann zu finden und Die vier unfehlbaren Methoden, um Millionär zu werden . Ich habe für Min ein paar Ratgeber gekauft, weil sie Depressionen hat, und die Bücher haben mich auf die Idee gebracht. Ich musste ja schon öfter Broschüren und Artikel und Pressemitteilungen verfassen. Ich kann schreiben. Deshalb fliege ich auch demnächst nach New York. Ich will versuchen, die entsprechenden Kontakte zu knüpfen. In Amerika lieben die Menschen solche Bücher. Vor allem, wenn die Verfasser aus Irland kommen. Markey Cuffe hilft mir dabei.«
Die beiden starrten mich fassungslos an. Offenbar hatte meine Rede ihnen die Sprache verschlagen.
»Soll das heißen, du schreibst ein Buch über Depressionen?«, fragte Peg schließlich. »Mit Flo Cuffes Sohn, der ihr immer das ganze Geld schickt?«
»Nicht über Depressionen.«
»Worüber dann?«
»Also – in letzter Zeit habe ich viel über das Älterwerden nachgedacht«, begann ich. »Ich meine ›älter‹ nicht im Sinn von richtig alt. Es geht mir um die Frage, welche Veränderungen Leute wie wir durchmachen, also Leute, die noch nicht richtig alt sind, aber auch nicht mehr jung. Brauchen sie denn keine Hilfestellung? Doch, ich glaube schon. Denkt nur mal an solche Kleinigkeiten wie die braunen Flecken, die plötzlich und unerwartet auf dem Handrücken auftauchen – da ist man doch regelrecht
schockiert. Man denkt immer, sie verschwinden wieder. Aber sie bleiben einfach da. Und soll ich euch sagen, was ich heute in der Irish Times gelesen habe?« Ich zog einen Zeitungsausschnitt aus der Tasche. »Eine durchschnittliche irische Frau mit vierzig oder älter möchte weniger wiegen als mit zwanzig.
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