Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
lang hatte ich für die Informationsabteilung auch in Luxemburg gearbeitet, und meine Chefin dort, eine extrem verbitterte Frau, eröffnete mir gleich am ersten Tag, dass in dem kleinen Land auf jeden alleinstehenden Mann mindestens neun alleinstehende Frauen kamen.
»Und die meisten von diesen Frauen sind jung«, fügte sie hinzu und musterte mich abschätzig.
Im Café herrschte eine friedliche Atmosphäre. Eine ältere Dame, die links von Min saß, zog lustige Grimassen für ein kleines Kind in einem Buggy. Das Kind gehörte zu einer jungen Frau, die sich intensiv mit einer anderen jungen Frau unterhielt, vor der ebenfalls ein Buggy stand und die nie den Blick von ihrem Baby nahm, das seinerseits ganz entspannt in die Gegend blinzelte. Beide Frauen trugen Jeans und Pumps und schienen mit ihrer Rolle so zufrieden zu sein, als hätten sie diese seit tausend Jahren eingeübt. Welche Daseinsberechtigung hatten Min und ich, im Vergleich zu ihnen? Letztlich war es doch eine sinnlose Verschwendung, dass die Ressourcen dieser Erde an uns vergeudet wurden. Min hatte heute darauf bestanden, ein Chiffontuch umzubinden. »Ein Farbtupfer am Hals ist immer vorteilhaft«,
verkündete sie wichtigtuerisch. Ich fragte mich oft, wo sie diese weiblichen Lehrsätze gelernt haben mochte, die sie immer wieder voller Entschiedenheit vortrug, als stünden sie in der Bibel. Ich hatte Stoneytown, also den Ort, in dem sie aufgewachsen war, fünfzig Meilen südlich von Dublin, nur ein einziges Mal gesehen, und da auch nur von Weitem. Doch selbst bevor dieses Städtchen von seinen Bewohnern verlassen wurde, war es nicht viel mehr gewesen als eine Reihe grauer Häuschen. Eins der Häuser stand ganz allein vorne auf der Landzunge, an der felsigen Klippe, wo der Fluss Milbay ins Meer mündet. Nicht unbedingt eine Umgebung, in der die Frauen Chiffonschals trugen, würde ich vermuten.
Wir saßen also nebeneinander an unserem Tischchen. Min beugte sich über ihren Teller und verspeiste mit großem Appetit ihr Rührei. Zu Hause hätte sie so etwas nicht angerührt. Ihre Haare waren heute kastanienbraun, weil vor kurzem der Friseur da gewesen war, der den älteren Damen kostenlos die Haare machte. Wenn er kam, stand sie immer begeistert auf. Das freute mich, aber als ich einmal zu ihr sagte: »Siehst du, Min – das ist doch mal ein gutes Beispiel dafür, dass es Dinge gibt, die du nur bekommst, weil du Rentnerin bist«, warf sie mir einen so empörten Blick zu, dass ich schnell wieder zurückruderte. »Aber es stimmt doch, oder?«, brummelte ich. »Daran kann niemand etwas ändern. Ich auch nicht.«
Im Grunde glaubte ich gar nicht, dass sie depressiv war, weil sie älter wurde. Es gab viele Leute, die das Leben in seiner Vergänglichkeit einfach akzeptieren konnten. Wie sie das machten, wusste ich allerdings selbst nicht.
»Ich sehe mal nach, was für Desserts es gibt, okay?«, sagte ich. »Heute können wir uns doch mal etwas gönnen.«
Die alte Dame am Nebentisch hatte sich erhoben, wirkte aber ziemlich wackelig auf den Beinen. Ihr Gesicht war schon etwas eingefallen, und ihre Zähne schienen viel zu groß. Ich
hörte, wie sie zu der jungen Mutter sagte: »Ich muss auf die Toilette.«
»Okay, dann geh«, erwiderte die jüngere Frau. »Du kannst das gut alleine.«
»Alleine?« Die alte Frau stand unentschlossen da und hielt sich an der Rückenlehne des Stuhls fest. »Wo ist denn die Toilette?«
Ich ging zur Theke und kam mit einem Obstsalat und einem kleinen Apfeltörtchen zurück.
»Entschuldigen Sie bitte – gehört diese Dame zu Ihnen?«, fragte laut und vorwurfsvoll ein junger Mann in Managerklamotten. Hinter ihm stand die alte Frau und hielt sich die Handtasche vors Gesicht, als wollte sie sich dahinter verstecken. Sie hatte die Augen geschlossen, und eine einzelne Träne kullerte ihr über die Wange. »Sie wurde in der Küche angetroffen. Gäste dürfen die Küche nicht betreten.«
»Ich habe mich verlaufen«, klagte die Frau mit krächzender Stimme. »Ich wusste nicht mehr, wo ich bin.«
»Ist schon gut. Hör bitte auf zu jammern, Himmelherrgott«, schimpfte die junge Frau. Da fing die alte Dame erst richtig an zu weinen.
»Jetzt reicht mir’s aber!«, fuhr die junge Frau sie an – so scharf, dass selbst der Manager zusammenzuckte.
»Ich muss auch mal«, verkündete Min und erhob sich. »Ich weiß, wo man hinmuss.«
Sie ging um den Buggy herum, fasste die alte Dame am Arm und führte sie weg, ehe ich noch das Tablett auf den
Weitere Kostenlose Bücher