Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
getrunken.
Was für ein Unterschied es doch war, ob man in ein leeres Haus kam oder in eines, das von Leben erfüllt war.
Beschwipst, wie ich war, konnte ich doch sehen, dass Leo sich das Haus mit viel Geschick angeeignet hatte. Mins kleine Nippes-Sachen waren verschwunden. Er hatte den einfarbigen schwarzen Teppich, der neben Dads Bett gelegen hatte, heruntergeholt und den Flickenteppich dafür weggeräumt. Die gelben Vorhänge waren zurückgeschoben, sodass sie nur noch als schmale gelbe Streifen auf beiden Seiten des Fensters hingen, und er hatte sich ausführlich um die Fleißigen Lieschen gekümmert, die korallenrot zwischen diesen gelben Streifen aufleuchteten. Alles war so schlicht und linear wie möglich, außer dem Feuer, das flackerte und loderte. Irgendein Schweizer Gericht aus Kartoffeln, Käse und Schinken erfüllte mit seinem Aroma die Luft. Bell – die, wie Leo sagte, immer am Fußende seines Bettes schlief, aber sonst nichts mit ihm zu tun haben wollte – legte sich auf den Rücken und streckte mir den Bauch hin, damit ich ihn streichelte, und als ich mich an den Tisch setzte, sprang sie mir auf den Schoß.
Leo hörte gerade ein Schubert-Quartett, als ich mit rotem Gesicht und redselig zur Tür hereingestolpert kam. Er machte die Musik erst wieder an, als ich aß, weil er mich damit beruhigen wollte.
»Achte mal darauf, wie das Cello das Eröffnungsthema aufgreift …«, erklärte er mir.
»Du bist einfach wunderbar«, sagte ich und meinte es auch so. »Was muss ich tun, um dich dazu zu bringen, für immer hier wohnen zu bleiben?«
Er lächelte mich an, ganz entspannt. »Tut mir leid, aber ich bin nicht mehr zu haben, meine Liebe. Mein guter Sohn Benjamin hat meine Ehefrau auf die positiven Eigenschaften hingewiesen, die ich besitze, und sie und ich haben angefangen, uns zu unterhalten, in relativ freundschaftlichem Ton. Es geht darum, ob ich die Ställe, die zu dem Haus in Luzern gehören, für
meinen Privatgebrauch renoviere. Ich habe hier in der Bibliothek schon zum Thema Schallisolation recherchiert.«
Na, so was!
»Das freut mich für dich«, sagte ich aufrichtig. »Aber du hättest auch das erste Boutique-Hotel in Kilbride eröffnen können. Damit würdest du bestimmt ein Vermögen machen.«
Er hatte ein eisgekühltes Mineralwasser und einen Strauß Freesien neben mein Bett gestellt, der mit seinem zarten Duft den ganzen Raum erfüllte. Und Leo hatte sogar die Laken gebügelt.
Dann mal los! Er und seine Frau waren vernünftige Menschen und hatten offenbar beschlossen, aus der Zeit, die ihnen noch blieb, das Beste zu machen. Alle Leute sollten so vernünftig sein. Und natürlich auch so viel Geld zur Verfügung haben.
Ich sehnte mich nach meinem Bett, aber andererseits konnte ich es mir nicht verkneifen, noch kurz ins Internet zu gehen, weil zur Abwechslung mal keine aufgedrehten Halbwüchsigen hinter mir Schlange standen. Und ich vermisste den Austausch mit dem Freund meiner Jugendtage.
RosieB an MarkC
Wie geht es Dir, lieber Markey, und wie sieht’s auf der Arche Noah aus? Ich war heute beim Begräbnis von Mr. Colfer und beim anschließenden Leichenschmaus, und ich habe ziemlich viel getrunken. Aber Leo und ich waren nicht untätig. Wir haben Mins Küche durchsucht und ein Geschirrhandtuch gefunden, mit einem »Gebet der irischen Mutter« darauf, das dreihundert Wörter hat. Außerdem ein Handtuch mit einer Landkarte von »Paul Reveres Ritt«, Du kennst ja sicher diesen Nationalhelden der Amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung, eins mit einem Bericht über die Boston Tea Party, samt einem Rezept für Boston Baked Beans, und schließlich noch eins mit dem gesamten Regelkanon für Texas Hold’em
Poker. Min besitzt auch Backofen-Handschuhe, mit einem Text von Beatrix Potter hintendrauf. Dass es hier so viel zu lesen gibt, ist mir früher gar nicht aufgefallen.
Leo hat mir einen sensationell starken Kaffee gemacht, der meine Lebensgeister wieder in Schwung gebracht hat. Ich schicke Dir heute sieben verkleinerte »Gedanken«, Minigedanken sozusagen. Sie sind über den mittleren Abschnitt der Reise, aber komischerweise sind sie gar nicht melancholisch. Was ist mit mir los? Es fällt mir gar nicht schwer, positive Sachen zu finden. Ich stehe sogar voll und ganz hinter ihnen.
Die Mitte der Reise
1. Die schwindelerregenden Höhen und die bedrohlichen Tiefen beanspruchen nicht mehr Ihre gesamte Energie. Sie entdecken, wie befreiend ein Plateau ist.
2. Sie können jetzt in
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