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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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ging ich streng mit mir ins Gericht: Gib’s auf!, ermahnte ich mich. Hör endlich auf mit dem Unsinn! Was wolltest du eigentlich von ihm?
    Ich wollte, dass er mich attraktiv findet!
    Warum? Warum?
    Du weißt genau, warum!
    Weil der Beerdigungszug von der Kirche in der Gardiner Street ausging, ergab es sich, dass ich unterwegs an der Ampel gegenüber vom Gresham Hotel halten musste. Ich erinnerte mich genau, welches Fenster zu dem Zimmer gehörte, in dem ich meine Unschuld an Dan, den amerikanischen Professor, verloren hatte. Ich war in den Monaten danach immer wieder dort vorbeigegangen – als ich noch einen Brief von ihm erwartete. Ich nannte Dan in Gedanken immer nur »Professor«, und ich fand, dass er ein bisschen aussah wie einer von den Beach Boys, mit seinen blonden Haaren und der gebräunten Haut. Wenn er älter gewesen wäre, hätte er sich mir gegenüber bestimmt charmanter verhalten. Er hätte mir ein paar sentimentale Briefe geschrieben. Wie so viele andere Professoren. Trotzdem hatte ich Glück gehabt, wenn man bedenkt, dass der Verlust der Unschuld an sich schon ein schockierendes Erlebnis ist. Dan war lieb gewesen, lieb und vorsichtig.

    Und um ehrlich zu sein – es war ja nicht nur ich selbst gewesen, also die junge Rosie Barry, die da mühsam ihre hautenge Jeans über die Hüfte herunterzog und dann auf dem Bett lag. Bei uns waren auch »Die Toten« von James Joyce, und ich war nicht nur Rosie, sondern gleichzeitig auch Gretta, aber statt mich von Gabriel abzuwenden, weil meine Gedanken ganz woanders waren, küsste ich zärtlich sein Gesicht.
    Ich hatte starke Abwehrmechanismen in dem Alter. Lalla und ich nahmen uns zum Beispiel fest vor, dass wir unser Glück nie von einem Mann abhängig machen würden, und ich war auch wirklich davon überzeugt. Ich ging zwar immer wieder in die Kirche und betete, dass Dan mir schreiben möge, aber eigentlich glaubte ich nicht, dass es einen Gott gab, der mir zuhörte, weil mein Dad trotz all meiner Gebete und Opfer gestorben war. Ich glaubte auch deswegen nicht an Gott, weil Markey nicht an ihn glaubte. Und Flaubert genauso wenig. Und ich sehnte mich zwar sehr nach einem Brief von Dan, aber es wäre schrecklich riskant gewesen, wenn er ihn an meine Adresse geschickt hätte, und bei Boody hätte ich ihn auch nicht gern bekommen, weil die anderen Mädchen die amerikanischen Briefmarken gesehen und mich dauernd damit aufgezogen hätten. Deshalb war ich nicht allzu unglücklich darüber, dass er sich nicht meldete.
    Aber ich hatte mich oft gefragt, ob diese Stunde mit ihm vielleicht mein gesamtes Leben beeinflusst hatte. Warum hatte ich zum Beispiel nicht geheiratet, als ich jung war, wie die meisten Leute? Hätte ich geheiratet, wenn ich noch Jungfrau gewesen wäre?
    Ach, wann hatte ich endlich genug von der Sexualität? Zum Glück schaltete die Ampel auf Grün, und ich konnte weiterfahren. Wann, wann, wann? Vor fünfunddreißig Jahren war ich diesen Gehweg entlanggelaufen, um mich mit Dan zu treffen, und heute hatte mich wieder genau die gleiche Erregung gepackt, so dass ich nur ganz flach atmen konnte, als ich vom Friseur zum ESB-Büro ging, in der Hoffnung, den Ingenieur dort anzutreffen.

    Sag meinem Körper, er soll endlich damit aufhören!, schimpfte ich mit mir selbst. An mir liegt es nicht – es ist mein Körper, der nicht aufhören will! Der nicht aufhören kann.
    Vielleicht würde ich nie frei davon werden, bis es mir ging wie Mr. Colfer – da, in seinem Sarg am Fuß der Altarstufen. Bis die Schmetterlingspuppe des Fleisches von mir abfiel. Ich versuchte, mir vorzustellen, wo der Geist von Mr. Colfer jetzt war, weil er sich ja nicht mehr in der leeren Körperhülle befand. Als mein Vater starb, dachte ich mir oft aus, er würde über mir schweben, hoch oben, aber doch nicht so hoch, dass kein Kontakt mehr zwischen uns bestand. Aber was war, wenn der Geist sich abwärts bewegte? Wenn er sich in der Erde verkroch, weil er es nicht ertragen konnte, nicht wiedergeboren zu sein? Oder wenn er auf derselben Höhe blieb wie die Lebenden? Bewegten wir uns, wenn wir herumliefen, womöglich dauernd zwischen Massen unsichtbarer Geister? Konnte es sein, dass meine Mutter neben mir ging, ohne dass ich es wusste? Und was war mit den Elementen des Geistes, welche die Persönlichkeit, den Charakter ausmachten, die einem Menschen ermöglichten, in einem menschlichen Körper in der menschlichen Gemeinschaft zu leben? Wohin gingen diese Elemente? Waren sie nur Abfall? Ich

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