Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
Stoneytown wurde nicht getanzt.
»Machst du Witze?«, fragte Min empört. »Tanzen? In Stoneytown? Wo hätte man da denn tanzen sollen? Und mit wem? Es gab doch gar keine Musik. Die Jungen und Mädchen durften sich nicht zu nahe kommen, und die Leute, die verheiratet waren, machten so was nicht. Die Männer haben sich irgendwo getroffen, um zu trinken, und die Frauen haben ihnen den Alkohol gebracht. Ende der Geschichte. Die alten Leute haben manchmal gesungen, vor allem die alten Frauen. Aber nur die mit den schönen Stimmen. Dann fingen immer die Hunde an zu heulen, und Hunde gab’s überall, obwohl die Jungen die Welpen ertränkt haben. Aber getanzt hat keiner. Es war immer das Gleiche, außer, dass die Männer im Winter zu Hause getrunken haben.«
»So viel hast du mir noch nie erzählt«, sagte ich ziemlich kühl.
»Hier interessieren sich alle Leute für die alten Zeiten«, sagte sie. »Zum Beispiel ist da dieser Typ – jedes Mal, wenn ich nur den Mund aufmache, hält er mir so ein kleines Aufnahmegerät hin. Er will vor allem die Lieder hören, aber ich kenne nicht viele.«
Bell miaute draußen vor dem Fenster. »Warte mal kurz«, sagte ich. »Die Katze wird nass. Ich habe mir überlegt, ob ich ein Renovierungsdarlehen beantragen soll, damit wir den Garten richtig schön herrichten können. Ich habe was darüber gelesen. Ein Zimmer im Freien, nennen sie das. Bell wäre bestimmt begeistert.«
Schweigen.
Dann: »Rosie – gib dein Geld lieber für dich selbst aus. Du wirst auch nicht jünger, und du brauchst Geld für deine Zähne. Ich spare mir hier was zusammen, damit ich mir amerikanische
Zähne leisten kann. Ich putze tagsüber ein paar Wohnmobile, damit verdiene ich mir noch ein paar Dollar dazu. Deshalb sollte ich jetzt lieber Schluss machen. Ich muss putzen gehen. Wie schnell kannst du das Geld für das alte Haus bekommen? Ich habe mit Luz darüber geredet. Sie sagt, da gibt es bestimmt Gesetze und Vorschriften.«
»Aber Min …«
»Rosie, ich bin glücklich und mopsfidel, ehrlich. Mach dir keine Sorgen um mich, Kindchen.«
Und damit legte sie auf.
So schnell ich konnte, wählte ich die Nummer von Luz’ Handy.
»Der Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar. Bitte rufen Sie die Auskunft an.«
Die Opernsendung endete, als ich durchs Haus ging, um alle Lichter für die Nacht zu löschen. Einen Ratschlag hatte Hugh Boody mir gegeben, als wir einmal zu zweit hinter der Theke im Buchladen standen und nicht viel Betrieb war: »Geh nur in reichen Ländern in die Oper.«
Aber Lalla und ich gingen in Budapest in die Oper, als Ungarn noch zum Warschauer Pakt gehörte und das Land bitterarm war. Wir waren ebenfalls bitterarm, und obwohl die Karten nicht viel kosteten, war die Oper himmlisch. Wenn jemand starb und die Zuhörer die Passage noch mal hören wollten, klatschten sie so lange, bis die Figur wieder lebendig wurde. In Tosca kam Scarpia zweimal zurück, und Tosca selbst kam auch wieder hinter der Festungsmauer hervor, von der sie sich gerade gestürzt hatte, und brachte sich noch einmal um.
Und als wir vergnügt lachend aus der Oper kamen, läuteten die Glocken, weil Heiligabend war. Und es schneite.
Ich ging nach oben, um mir die Zähne zu putzen. Lieber Gott! Verfärbten sie sich etwa gelblich? Der Zahnarzt in Kilbride fand
es nicht gut, Zähne mit Peroxid zu bleichen, aber er war ja auch keine alleinstehende Frau in einem gewissen Alter.
Ich hatte mir abends nie die Zähne geputzt, bis ich Lalla kennenlernte. Man sieht: Die gemeinsam verbrachte Zeit in Budapest und die drei Monate in Roubaix waren nicht nur unglaublich glücklich, sondern auch sehr lehrreich für mich gewesen.
Das Dachzimmer, das Lalla und ich uns teilten, duftete immer wunderbar nach frischem Brot, weil es direkt über einer Bäckerei lag. Die Jungs dort sahen lustig aus, weil sie Mehl in den Haaren und in den Augenbrauen hatten, und sie pfiffen mir immer nach, wenn ich morgens in meinem superknappen Minirock, der mir kaum über den Hintern reichte, die äußere Treppe herunterkam. Dann machte ich mich auf den Weg zu der Familie, auf deren Nachwuchs ich aufpasste. Ich bereitete den Kindern Frühstück und brachte sie in die Schule. Ich genoss jede Kleinigkeit, die anders war als in Dublin. Die Schrift auf den alten Reklameplakaten an den Hauswänden, die Art, wie die Spitzengardinen in zwei Bahnen vor den Fenstern hingen, der fruchtige Biergeruch, der aus den offenen Türen der Kneipen wehte. Und die Leute, die auf
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