Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
Metzger, die leider sündhaft teuer waren. Ich arbeitete jetzt jede Woche ein paar Stunden als Vertretung in der Kilbride-Bibliothek, das brachte ein bisschen Kleingeld ins Haus. Und meine Ersparnisse würden noch ein Jahr reichen, wenn ich so weitermachte wie bisher, obwohl ich mir einen kleinen Gebrauchtwagen gekauft hatte, um Min durch die Gegend kutschieren zu können – was sie bisher bedauerlicherweise noch nicht in Anspruch genommen hatte. Ich besaß außerdem noch Wertpapiere, die ich verkaufen könnte, um den Garten mit einem Glasdach in eine Art Wintergarten zu verwandeln und um Fliesen legen zu lassen, falls Min diesem Plan jemals zustimmen
würde. Wenn der Garten schön hergerichtet war, rannte sie vielleicht nicht mehr so oft in den Pub.
Dabei trank sie bei ihren mittäglichen Kneipenbesuchen gar nicht besonders viel, soweit ich das beurteilen konnte. Aber wenn sie wieder nach Hause kam, war sie trotzdem jedes Mal verändert. Irgendwie leicht daneben . Und an manchen Tagen schien irgendetwas sie zu bedrücken. Dann blieb sie länger als zwei Stunden in der Kneipe. Anschließend pusselte sie oft im Haus herum, wirkte dabei aber ziemlich überdreht. Ich machte mir große Sorgen um sie, weil ich sehen konnte, wie unkoordiniert ihre Bewegungen durch den Alkohol wurden. Es kam auch vor, dass sie schon nachmittags ins Bett ging. Meistens stand sie später wieder auf und zog noch einmal los, und wenn sie dann zurückkam, war ihr Lächeln zu einer Grimasse erstarrt. Allerdings geschah das in fünf Monaten nur dreimal, also vergleichsweise selten, vor allem, wenn man an Mrs. Beckett dachte, die ein Stück weiter die Straße hoch wohnte und Alkoholikerin war. Oder an viele Männer in der Nachbarschaft. Nur wusste man natürlich nie, wann es wieder losging.
Am Anfang folgte ich ihr ein paarmal in die Kneipe, auch wenn ihr das nicht recht war. Von der Tür aus sah ich sie am anderen Ende des Raums sitzen, hinter lauter leeren Stühlen und Tischen. Ich erkannte die Konturen ihrer wirren Haare vor dem Fenster, das sie nach Lust und Laune öffnete und schloss. Sie zog eine Art imaginäre Schutzlinie um sich herum, als säße sie in einem Auto und würde irgendwo hinfahren. Aber sie bewegte sich nicht vom Fleck. Wohin hätte sie auch fahren sollen? Sie konnte nirgendwohin, sie kannte niemanden. Ich fand es furchtbar, sie da sitzen zu sehen, und verkrampfte mich innerlich. Trotzdem ging ich über den Teppich mit den unzähligen Fettflecken zu ihr hin. Und sie schaute mich mit ihrem Kindergesicht fragend an.
Aber sie wollte nicht, dass ich mich zu ihr setzte.
Nur ein einziges Mal bekam ich etwas von ihrem Innenleben zu sehen. Das war im September, als am ersten Jahrestag von 9/11 eine Gedenkmesse gelesen wurde. Schon Tage vorher wurde sie plötzlich ganz gesprächig und erzählte mir von dem fürchterlichen Tag – wie sie vor dem Fernseher saß, als die Flugzeuge in das Hochhaus flogen, und dachte, es sei nur ein Horrorfilm. Sie konnte Reenys Nummer in Spanien nicht finden, und der Eintopf, den sie auf dem Herd stehen hatte, brannte so rettungslos an, dass sie den Topf wegwerfen musste. Alle kamen vorbei. Andy Sutton holte den Stuhl aus dem Schlafzimmer und ging los, um Mrs. Beckett Bescheid zu sagen, weil sie nur RTE One empfangen konnte. Tess schaute nach der Arbeit vorbei und machte Sandwiches mit Hähnchenfleisch, während Andy im Kilbride Inn ein Dutzend Bierflaschen und eine Flasche Wodka holte. Überall standen die Haustüren offen, man hörte die Fernseher plärren, und Enzos Sohn brachte Fish and Chips , obwohl das Sorrento normalerweise nicht ins Haus lieferte. Der Junge blieb gleich da und glotzte mit offenem Mund auf den Bildschirm.
»Am Anfang hatte ich richtig Angst«, sagte Min. »Mir ist nämlich eingefallen, dass Markey Cuffe in Amerika ist, du weißt schon, dein Freund von früher, als du dauernd die Nase in ein Buch gesteckt hast, der Sohn von Florence Cuffe. Er ist doch nach New York gezogen. Ich habe alle gefragt, ob sie wissen, wo er arbeitet. Er ist quasi in unserer Straße aufgewachsen, und es hätte gut sein können, dass er tot ist, viele Leute hier haben Verwandte drüben, und sie haben sich alle furchtbare Sorgen gemacht, und man konnte ja nichts rauskriegen, die Telefonleitungen waren überlastet, man kam gar nicht nach Amerika durch. Aber dann habe ich die Karte gefunden, die ich letzte Weihnachten von Markey bekommen habe. Ich habe sie aufgehoben – er schickt nämlich immer riesige
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