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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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ESB-Mann zu erholen. Aber gab es wirklich eine Chance, irgendwelche schriftlichen Aufzeichnungen zu finden? Die Einwohner von Milbay hatten Angst vor den Steinbruchleuten gehabt und sie gleichzeitig verachtet. Und die Steinbruchleute waren angeblich immer betrunken gewesen und außerdem sehr streitsüchtig. Ob einer von ihnen je den Impuls verspürt hatte, vom Steineklopfen hochzublicken und etwas aufzuschreiben?

    Aber ich hatte Glück.
    Es gab etwas, zwischen zwei Pappdeckeln und mit Stoffband zusammengebunden: ein dickes braunes Buch mit dem Titel Milbay und Umgebung von C. O. Conchubhair, 1956, »erschienen beim Milbay Herald , Schirmherr M. J. Bailey und Familie«.
    Ich blätterte zum Inhaltsverzeichnis, und irgendwie sprangen mir aus den unzähligen kleinen Buchstaben die Wörter »Milbay Point« entgegen. Sie bezogen sich auf den Eintrag »Sprache, die irische«.
    Linguisten des Instituts für Höhere Bildung interessierten sich für die Sprache der halbnomadischen Menschen, die sich am Südufer des Milbay niederließen, am sogenannten Milbay Point, und die von etwa 1920 bis 1940 in dem dortigen Granitsteinbruch arbeiteten. Ihr Dialekt enthielt nach Aussage überlebender Lehrer der Saint Jude’s National School (eine Schule, die sporadisch von den Inselkindern besucht wurde) sehr viele Wörter aus dem Irischen und Walisischen. Während des Kriegsnotstands half das Department of the Gaeltacht dabei, diese Familien umzusiedeln. Die Fundamente ihrer nur als Provisorium geplanten Baracken sind noch hinter der früheren Methodistenkapelle und der Temperance Hall zu sehen.
    Es heißt, die letzten Steinbruchleute seien in die USA ausgewandert, als nach Kriegsende Reisen über den Atlantik wieder möglich wurden. Der Entschluss auszuwandern ging angeblich auf das zufällige Überleben eines amerikanischen Piloten zurück, der mit einem Kleinflugzeug 1944 in der Nähe des Steinbruchs abstürzte. Der Milbay Herald berichtete, dass dieser Pilot seine Retter einlud, ihn in seiner Heimatstadt zu besuchen. Der Verfasser dieser Zeilen vertritt jedoch die Meinung, dass diese Einladung nie wahrgenommen wurde, denn es gibt keine Reisepassanträge. Menschen wie die Steinbrucharbeiter waren gar nicht fähig, solche Anträge zu stellen,
da sie völlig verarmt waren, nachdem sie mehrere Jahre lang keinen Zugang mehr zu ihrem einzigen Arbeitsplatz gehabt hatten.
    Als ich zur Tür hereinkam, rief ich wie immer als Erstes nach Bell. Und weil sie eine halbe Minute später noch nicht auf das Fenstersims gesprungen war, ging ich nach draußen und schaute über die Mauer in Reenys Garten. Musik! Jawohl! Endlich war unsere Reeny aus Spanien zurück.
    Ich rannte zu ihr und umarmte sie. Ich wollte sie am liebsten gar nicht mehr loslassen! Sie wusste natürlich, was ich damit ausdrücken wollte: »Ist es nicht schrecklich, dass Min nicht da ist?«
    Anschließend folgte das übliche Ritual: Ich bewunderte ihre braun gebrannten Beine und die hellen Strähnen in ihren Haaren und ihren vom Schwimmen gestrafften Körper. Dann machte sie eine Flasche von dem Rioja auf, den sie immer in großen Mengen mitbrachte.
    »Kein Mensch hat geahnt, was im Kopf dieser Frau vorgeht«, sagte sie und setzte sich hin. »Das habe ich zu Pearl gesagt, als ich gehört habe, was Min anstellt. Typisch Min! Ab wie eine Rakete, sobald sie die Möglichkeit hat. Erinnerst du dich noch, wie sie Opernsängerin werden wollte?«
    Ich muss damals etwa zwölf gewesen sein. Mein Vater verbrachte schon viel Zeit in seinem Krankenbett in der Küchenecke, weil er die Treppe nicht mehr schaffte. Aber er hatte noch genug Kraft, um sich aufzusetzen. Er versuchte sogar, mir beim Fluch meines Schullebens zu helfen – bei den Mathematikaufgaben -, und war gerade dabei, mir etwas zu erklären, als Min aus dem Kino nach Hause kam. Sie konnte so oft ins Kino gehen, wie sie wollte, weil mein Dad sämtliche Kinomanager in Dublin kannte, und sie wussten alle, dass Min mich für ihn großzog.

    Sie kam herein und schaute uns an, schien uns aber gar nicht richtig wahrzunehmen. Dann zog sie ihren Mantel aus und verkündete: »Ich werde Opernsängerin.«
    »Aber Min …«
    Sie hatte schon immer viel gesungen. Von Schwester Cecilia war sie gebeten worden, im Kloster-Chor mitzusingen. Und sie war gut zurechtgekommen, denn Schwester Cecilia hatte den Text des »Panis Angelicus« und des »O Salutaris Hostia« auf eine Karte geschrieben – nicht die korrekten Wörter, sondern erfundene, die

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