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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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»Lady in Red« mindestens zehnmal hintereinander. Dazu tanzte sie mit sich selbst, das wusste ich. Sie tanzte in ihrer Küche auf und ab.
    »Lady in red«, sang sie gemeinsam mit Chris, »is dancing with me cheek to ckeek,
    But I hardly know this beauty by my side,
    I’ll never forget the way you look tonight …«
     
    Ich hatte sie schon dabei beobachtet: Sie hielt die Arme vor sich, als würde sie einen Partner umschlingen, den Kopf leicht zur Seite geneigt, als wäre da ein anderes Gesicht, ganz dicht bei ihrem, an das sie sich schmiegte, die Augen halb geschlossen.
    »Lady in red …«
    Wenn Monty nach Hause kam, während sie tanzte, rief er nur: »Guter Gott, Mammy!«, und stellte die Musik ab.
    Ich pfiff leise nach Bell und blieb noch einen Moment sitzen, die Katze auf meinem Schoß, den Blick auf die Glut im Kamin gerichtet.
    Ich musste noch an etwas anderes denken, was Reeny gesagt hatte.
    Ich hatte sie gefragt: »Aber Reeny, wenn Min schon immer nach Amerika wollte oder sonst irgendwohin – warum hat sie dann so lange gewartet?«
    Und Reeny hatte geantwortet: »Weißt du, Rosie, wir bewegen uns doch alle immer in denselben eingefahrenen Bahnen und merken gar nicht, was wir machen, stimmt’s? Und dann, eines Tages, ist die Zeit reif für eine Veränderung. Warum hast du zum Beispiel so lange gebraucht, um nach Hause zu kommen? Warum hat sie so lange gebraucht, um von zu Hause wegzugehen? Es ist doch das Gleiche, oder?«

15
    I ch ging in die Stadt, mit meinem rosaroten Notizbuch in der Tasche, damit ich mir Stichpunkte für einen »Gedanken« über Kunst machen konnte, falls ich eine Eingebung hatte. Das Thema machte mich nervös, aber jedes Mal, wenn mir einfiel, wie spannend es gewesen war, von Markey zu lernen, und wie sehr diese Erfahrung mein späteres Leben geprägt hatte, war mir klar, dass ich die Kunst nicht auslassen konnte.
    Der Kritiker George Steiner schrieb einmal Folgendes, notierte ich, während der Bus in der Endhaltestelle Kilbride den Motor warm laufen ließ, »Wir sind ein Tier, dessen Lebensatem die gesprochenen, gemalten, gemeißelten, gesungenen Träume sind.« Und was ist der Traum anderes, als mit dem unvergänglichen Kunstwerk gegen die Auflösung des individuellen Körpers anzutreten?
    Und doch ist für die meisten von uns …
    Was ist mit den meisten von uns? Wir wissen eigentlich nicht, wo wir im Verhältnis zur Kunst stehen. Ist George Steiner je mit dem Bus gefahren? Vermutlich schon, weil er ja in Genf gelebt hat. Aber hat er den alten Frauen zugehört, die sich über die Sonderangebote beim Schlussverkauf unterhalten? Schaffte er es, seine Ideen zu Ende zu denken, obwohl der Mann neben ihm unbedingt wissen wollte, welches Pferd sein Favorit beim Derby war? Die Kluft zwischen populärem Geschmack und hoher Kunst …

    In der Talbot Street geriet der Bus in einen Stau. Der Mann neben mir schimpfte, es sei immer der gleiche Scheiß. Eine der großen Chancen der reiferen Jahre ist, dass wir die Zeit haben, den Künstler, der in jedem von uns lebt, endlich zum Ausdruck zu bringen …
    Der Bus schlich ein Stück weiter und blieb dann erneut stehen.
    In jedem von uns? Auch in Monty? In Enzo von der Fish and Chips-Bude? Nein. In vielen. Nein. In manchen.
    Wir fuhren durch die Marlborough Street. Dort gab es einen Plattenladen, der in der Zeit, als es 33er- und 45er-Schallplatten gab, von einem sehr netten Mann geführt wurde. Ich bin wie Nora Joyce, dachte ich damals oft. Ich hatte irgendwo gelesen, dass Nora in der Zeit, als Joyce Finnegans Wake schrieb, in Paris in die Plattenläden ging und Opern hörte. Ich stellte mir die Situation vor: die Einsamkeit der Ehefrau, die loszieht, um romantische Arien zu hören. Markey war für mich genauso ein Genie gewesen wie James Joyce für seine Frau Nora, aber obwohl ich ihn kannte, sehnte ich mich damals immer noch nach Ekstase. Wenn überhaupt möglich, dann steigerte der Kontakt zu ihm meine Sehnsucht sogar noch.
    Die Musik war die einzige Kunstform, in der Markey sich unsicher fühlte. Außer bei Madrigalen. An dem Tag, an dem er die Madrigale entdeckte, kletterte er auf unsere Gartenmauer, setzte sich oben hin und versuchte, ganz allein eine vierstimmige Harmonie zu singen.
    Ich hatte das Glück, dass nicht lange nach dem Tod meines Vaters Schwester Cecilia ins Kloster kam. Sie betrat den Musiksaal in ihren sauberen Stiefeln, musterte uns schweigend so lange, bis wir kaum noch zu atmen wagten, dann klappte sie das Klavier auf und

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